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Donnerstag, 6. März 2014

Macht macht stark - Predigt zur Einführung als Diakoniepfarrer in den Kirchenkreisen Kirchhain und Marburg


1. Samuel 2, 20:

Saul sprach zu David: Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn mit Frieden seinen Weg gehen? Der HERR vergelte dir Gutes für das, was du heute an mir getan hast!

 

Liebe Gemeinde!

Zwei Männer sind, im wahrsten Sinn des Wortes, zu Todfeinden geworden. Der eine, formal noch der Herrscher und Inhaber der Macht, klammert sich mit aller Gewalt an das, was er nicht mehr halten kann. Und wie das so ist. Je mehr seine Macht in Frage gestellt wird, desto härter und brutaler reagiert er. Seinen Herausforderer will er töten. Der andere, jung, aufstrebend, zunächst noch Freund des Machthabers, hat die Zeichen der Zeit erkannt, wird, darauf deutet alles hin, die Macht bekommen. Er steht in der Gefahr, getötet zu werden. Er stellt eine große Bedrohung für den Machthaber dar, der sich an das, was er hat, klammert. Und dann ergibt sich die Möglichkeit, den alten Machthaber loszuwerden. Er, der junge, aufstrebende hat es in der Hand, seinen Todfeind ein für allemal zu beseitigen. Und was macht er? Er lässt ihm das Leben. Er nutzt seine Macht nicht aus, er sinnt nicht auf Rache, er erweist sich gnädig. So ist es, nicht in der Ukraine in diesen Tagen, nicht in Südafrika zu Zeiten, als die Apartheid zu Ende ging, sondern im Alten Israel lange, lange vor unserer Zeit. Saul und David machen sich das Leben zur Hölle mit ihren Macht- und Verteidigungsansprüchen. Und David bricht, zumindest für einen Moment, aus der Spirale der Gewalt aus. Und in dieser Situation lesen wir eben den Satz in der Bibel, den ich eben vorgelesen habe. Vielleicht kann die Generation meiner Großväter, die den zweiten Weltkrieg als Soldaten miterlebt haben, so ein wenig ermessen, was diese Entscheidung von David bedeutet. Dem Feind, der einem selbst ans Leben will, das Leben zu schenken. Wahrscheinlich können Menschen in viel zu vielen Ländern der Erde, in denen Menschen wegen ihrer Religion oder ihrer Volkszugehörigkeit um ihr Leben fürchten müssen, oder Menschen in Ländern, in denen sich Mächtige mit Gewalt an ihre Macht klammern, wie Syrien oder der Ukraine, ein wenig ermessen, was das bedeutet, dem Feind, der das eigene Leben bedroht, Leben zu schenken, auch wenn man die Macht hat, es auszulöschen. Für die aller, allermeisten, die heute hier mitfeiern, ist das aber wohl, Gott sei Dank, keine Frage auf Leben und Tod.

Aber trotzdem ist es eine wichtige Frage: Wie gehe ich mit der Macht um, die mir über andere gegeben ist? Macht ist erst einmal nichts Böses. Viel zu oft wird Macht mit Gewalt gleichgesetzt. Oder Machtmissbrauch wird gleich mitgedacht oder mit vermutet. Dabei ist Macht eigentlich erst einmal eine Grundgegebenheit unseres Menschseins. Mit einem Lächeln, einem freundlichen Wort hat jeder von uns tatsächlich die Macht, das Leben eines anderen, der ihm begegnet, erst einmal, und sei es nur für wenige Minuten, schöner, lebenswerter zu gestalten. Was sich so banal anhört, auch im Umkehrschluss, dass wir mit mieser Laune oder einer schnell mal nebenbei rausgerutschten Beleidigung die Macht haben, einen anderen niederzudrücken, hat für mich viel tiefere Schichten.

Vor gut einer Woche habe ich Folgendes erlebt, dass nur auf den ersten Blick nichts mit Saul und David und Feindesliebe und Macht zu tun hat, auf den zweiten Blick aber ganz viel zeigen kann: Da sind zwei Frauen beim Mittagessen in der Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose. Beide häufig da. Die eine schüchtern, zurückhaltend, schon älter, hat lange gebraucht, bis sie ihre Hilfsbedürftigkeit zugeben konnte, sich öffnen konnte. Die andere, eher raumfordernd, laut, ebenfalls mit vielen Problemen und einer schwierigen Lebensgeschichte, lässt durch offene und verdeckt verteilte Spitzen immer wieder deutlich werden, dass in ihren Augen die ältere Dame da nichts verloren hat und wenn sie schon da ist, sie gefälligst den Mund halten und sich anpassen soll. Was ist hier richtig, was ist hier diakonisches Handeln? Mitleid zu haben mit den Frauen und ihrer schweren Lebensgeschichte, zu beschwichtigen, zu sagen: „Ach, das muss man ja verstehen, die können ja auch nichts dafür, die wurden ja auch vom leben oder von anderen schlecht behandelt?“ Ich bin dankbar, dass die Mitarbeitenden in der Tagesaufenthaltsstätte sich nicht von dieser Form von Mitleid leiten lassen. Sie arbeiten mit ihrer Macht, die sei haben, durch ihre Ausbildung, ihre Kompetenz, auch ihre relative materielle Sicherheit. Sie verstecken ihre Macht nicht. Und sie arbeiten mit der lauten, stichelnden Frau. Sie machen sich mit ihr auf den Weg, damit sie lernen kann, anderen Raum zu geben, anderen das Leben zu gönnen und leichter zu machen, weil sie selbst erfahren kann, dass sie ernstgenommen wird und Raum hat. Sie helfen ihr, ihre Macht zu entdecken und bewusst und verantwortungsvoll damit umzugehen. Ein mühsamer, langer Weg mit manchen Rückschlägen. Aber ein richtiger Weg. Diakonisches Handeln ist für mich auch ein Handeln, das Menschen hilft, die ihnen eigene, von Gott gegebene Würde und Macht zu entdecken, wahrzunehmen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Wie gehen Menschen miteinander um? Das ist für mich eine ganz zentrale Frage. Für mich ist das, was in der Geschichte von Saul und David als Gottes Wille deutlich wird und was sich dann in den Worten Jesu: „Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.“ zeigt, keine fromme pazifistische Überforderung. Für mich heißt das ganz einfach: Leben fördern und nicht Leben nehmen ist GottesWille für den Umgang von Menschen untereinander. Frieden, sozialer Frieden genauso wie Frieden als gewaltfreies Miteinander, hat am ehesten dort eine Chance, wo Menschen nicht um ihr Lebensrecht kämpfen müssen, sondern wo sie sich angenommen und aufgehoben wissen – in aller Unterschiedlichkeit. Auch in der Unterschiedlichkeit der Gaben und Möglichkeiten. Keiner muss alles könne und alles haben. Dem andere helfen, die Verantwortung und Macht, die er hat, zu entdecken und wahrzunehmen, das ist Diakonie – es geht eben nicht darum, anderen Verantwortung abzunehmen, auch wenn das manchmal der einfachere Weg zu sein scheint. Gott schenkt uns Menschen Verantwortung, füreinander, für das Leben. Diakonisches Handeln, eben nicht nur von Profis in Institutionen, Vereinen, Verbänden, sondern von jedem, der sich in der Nachfolge Jesu weiß, in Gemeinden und überall, heißt auch dazwischen zu gehen, wo dies schwer oder unmöglich gemacht wird. Und insofern gehört zu diesem diakonischen Umgang miteinander auch so etwas wie das Bewusstsein, die eigene Macht immer auch zu begrenzen und den Anspruch zu haben, sich überflüssig zu machen. Loslassen können, den anderen ein eigener Mensch sein lassen zu können – auch das ist ein Handeln im sinne Gottes, im Auftrag Jesu. Es geht in der Liebe, von der Jesus spricht, nicht um das große Gefühl, sondern darum, im anderen das Du mit eigenem Wert und eigenem Weg und eigenem Recht zu sehen. Menschen zu helfen, sich gegenseitig auf Augenhöhe zu begegnen – ich glaube, dass das ein wesentlicher  Auftrag ist, wenn wir unser Tun und Lassen in der Verantwortung vor Gott geschehen lassen. Und für mich liegt ein Anfang auch da, wo wir voneinander reden. Nicht erst da, wo wir mit der Waffe in der Hand anderen Leben nehmen oder Leben lassen können.  Wie reden wir voneinander? In den letzten Wochen bin ich, manchmal auch mit leicht spöttischem Unterton, öfter mal las „Chef“ angeredet worden. Gewöhnungsbedürftig. Aber tatsächlich bin ich auch der, der Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, der im Rahmen des rechtlich Möglichen Entscheidungen treffen kann, die andere ausführen. Macht wird dann schwierig, wenn sie verschleiert wird. Offenheit und Transparenz gehören dazu. Und da bin ich eher Chef als Freund. Und wie reden wir von den Menschen, die uns begegnen, die uns und unsere Angebote beanspruchen? Kunden? Klienten? Mandanten? Wenn wir nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich in allem, was wir tun, um ein Miteinander von Menschen handelt, die sich um Gottes Willen auf Augenhöhe begegnen, dann ist es vielleicht sogar manchmal gut, distanzierter zu reden, weil Menschen auch das Recht haben, weniger von uns zu wollen, als wir ihnen zu geben bereit sind. Einfach nur einen Rat und nicht unsere ganze Liebe. Die bekommen sie hoffentlich dann woanders, die bekommen sie sicher von Gott. Es reicht, einander das Leben zu gönnen, zum Leben zu helfen. Keiner von uns ist allmächtig. Auch nicht in Bezug auf seine Liebesfähigkeit. Wir sind erlösungsbedürftig. Wir dürfen uns und die, die uns anvertraut sind, Gott und seiner Liebe anvertrauen. Unsere Macht ist begrenzt. Aber sie ist da. Und damit auch unsere Verantwortung. Füreinander. Gott sei Dank.

Amen

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