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Samstag, 26. Oktober 2013

YOLO - Du lebst, nur einmal, da kannst du mit Gott gehen - 22. Sonntag n. Tr., 27.10.13, Reihe V



 (Zürcher, im Gottesdienst tlw. eigene Übersetzung, angelehnt an Zürcher)

Liebe Gemeinde!
YOLO. Ich weiß nicht, wie viele Erwachsene wissen, was diese vier Buchstaben Y O L O bedeuten. Fast alle Jugendlichen werden es wissen. YOLO: You Only Live Once – Du lebst nur einmal. Du lebst nur einmal – und gemeint ist: zieh dein Ding durch. Nimm keine Rücksicht auf das, was die anderen sagen oder fordern, sondern sei du selbst – ein einzigartiger Mensch, der macht, was für ihn richtig ist. Und meistens ist damit gemeint: der macht, was ihn voranbringt, was ihm Spaß bringt, ohne sich dabei groß um die Folgen für andere zu kümmern. Vor ein paar Wochen habe ich auf facebook bei meinen Neuigkeiten den Eintrag einer mir gut bekannten Jugendlichen bei einem anderen gesehen: „Ich bewundere dich, weil du ohne Rücksicht auf die Meinung von anderen dein Ding voll durchziehst“. Und dieser Eintrag hatte ganz viele Likes, also ganz viel Zustimmung. YOLO. Damit es keine Missverständnisse gibt: es wird jetzt keine Strafpredigt für scheinbar ach so egoistische Jugendliche, über die ich mich mal in der Kirche beschweren will. Erstens kenne ich ganz viele Jugendliche, die durchaus nicht nur egoistisch sind. Zweitens erlebe ich immer wieder, dass gerade bei Jugendlichen Werte wie Freundschaft, Verlässlichkeit, auch Treue ganz hoch im Kurs stehen. Drittens glaube ich auch, dass Jugendliche oft nur viel direkter und unverblümter aussprechen, was wir Erwachsenen ihnen vorleben. Und wir haben eine Gesellschaft aufgebaut, in der nicht nur jeder für sich selbst Verantwortung hat, sondern in der immer mehr jeder nur für sich selbst sorgt. Im Großen ein aktuelles Beispiel: Deutschland wehrt sich ganz vehement dagegen, Flüchtlinge aus Afrika und Syrien in größerer Zahl aufzunehmen, obwohl das kleine und, im Vergleich zu Deutschland eher arme, EU-Land Malta in Beziehung zur Einwohnerzahl zur Zeit mehr als fünfmal so viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Ist doch deren Problem, das ist die nach außen getragene Haltung der deutschen Regierung. Wir geben nichts ab – weder an die Flüchtlinge noch an den europäischen Partner Malta.
Im kleineren Maßstab, in der Kirche: bei der Kreissynode vor drei Wochen bin ich mehrmals mitleidig belächelt und angefragt worden, wie dumm wir doch waren, unsere Kirchengemeinde Am Richtsberg zu bilden und nicht zwei Gemeinden zu bleiben. Andere Gemeinden, die sich geweigert haben, zusammenzugehen, stehen, was Gebäude angeht, zum Teil besser da. Dass es von der Sache her richtig ist, eine Kirchengemeinde Am Richtsberg zu haben und dass wir dadurch für alle Marburger Gemeinden etwas Entlastung geschaffen haben, spielt in den Augen derer, die mich angefragt haben, keine Rolle. „Ihr seid doch blöd, dass ihr nicht egoistisch gewesen seid“ – so ist der Grundgedanke. Von längst erwachsenen Menschen, die in der Kirche Verantwortung tragen und die in ihren Gemeinden und Arbeitsstellen für die Verkündigung der frohen Botschaft stehen.
YOLO. Mich wundert es, ehrlich gesagt, nicht, dass Jugendliche das genau so und mit dem Unterton, mit dem es meistens benutzt wird, sehen.
Was das alles mit dem Propheten Micha aus der Bibel zu tun hat, aus dessen Buch ich eben ein paar Verse vorgelesen habe, fragen sich manche vielleicht jetzt. Der Prophet Micha, der macht in seinem für uns ja uralten Buch auf dieses scheinbar moderne Phänomen aufmerksam. Das ICH im Mittelpunkt. Auch im Glauben an Gott. Was kann ICH tun, damit Gott MICH wieder mag, auch wenn ich eine Sünde begangen habe, Schuld auf mich geladen habe? Soll ich von meinem Besitz, von meinem Verdienst etwas Gott opfern, vielleicht sogar, das ist die schreckliche Pointe, mein erstgeborenes Kind, damit ICH

Samstag, 12. Oktober 2013

Geschwister, zur Ruhe, zur Freiheit! - 20. Sonntag n. Tr., 13.10.2013, Reihe V



Liebe Gemeinde!
Heute ist Elisabethmarkt. Verkaufsoffen in der Oberstadt, Innenstadtkirmes und rund um die Elisabethkirche ist auch ein Sozialmarkt, auf dem sich verschiedene soziale Einrichtungen und Projekte präsentieren. Unter anderem sind auch Doreen und ich mit dem Richtsberg- bzw. auja-Mobil unserer Kirchengemeinde da. Ein Glück, werden sicher manche sagen. Endlich mal wieder ein Sonntag im Herbst, an dem man nicht vor der Glotze hängen muss und sich langweilt, sondern wo man ein Ziel hat, wo was los ist. In der Schule und im Konfirmandenunterricht ist es seit vielen, vielen Jahren so, dass der Sonntag mit Abstand der langweiligste und unbeliebteste Wochentag ist, wenn ich über das Feiertagsgebot spreche. Gerade im Herbst, im Winter und bei schlechtem Wetter. Ruhe halten geht gar nicht – wie man auch an den Diskussionen über das Tanzverbot am Karfreitag sieht, die seit ein paar Jahren immer schärfer geführt werden. Das Problem, von dem Markus hier in seinem Evangelium erzählt, ist heute für die meisten wahrscheinlich völlig unverständlich. Und deshalb wird der Satz, den Jesus am Ende sagt, nämlich: „Der Sabbat, also der Ruhetag, ist für den Menschen gemacht worden und nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn, also Jesus selbst, auch Herr über den Sabbat“, gern viel zu einfach ausgelegt. Wenn die Leute überhaupt noch in die Bibel schauen und sich dafür interessieren, sagen sie es oft so: „Alle Regeln und Gebote sollen für die Menschen gut sein und nicht umgekehrt – und weil sowieso jeder am besten weiß, was für ihn gut ist, soll doch jeder selber sehen, wie er sich daran hält oder nicht. Schon Jesus akzeptiert doch keine Einschränkungen.“ Ich glaube aber, dass dieser Erklärungsversuch zu kurz greift. Ich glaube auch, dass nicht nur das Sabbatgebot, sondern jedes Gebot der Zehn Gebote nicht nur gut für den Menschen ist, sondern auch für ihn als Lebenshilfe gemacht ist. Und nicht umgekehrt die Menschen dazu da sind, Regeln möglichst genau zu befolgen. Aber der Schluss, das deshalb jeder selber wissen muss, was gut und richtig ist, greift zu kurz. Ich glaube, dass Jesus, in dem wir Gott sozusagen bei der Arbeit sehen, uns helfen will, zu erkennen, wozu Gebote gut sind und nicht, Gebote einfach streichen will. Es geht darum, den Sinn der Gebote zu verstehen und nicht die Erklärungsversuche von Menschen, ob das damals Schriftgelehrte und Pharisäer oder Hohepriester waren oder heute Theologie Professoren oder Pfarrer oder Relilehrer oder Menschen, die sich für besonders berufen halten sind, wichtiger zu nehmen als die Gebote selbst. Jesus, und in ihm Gott selbst, ist Herr über die Gebote, und nicht der Pharisäer, der Pfarrer oder der besonders berufene Christ mit seinen zusätzlichen Regeln, die er oft zur scheinbaren Erklärung aufstellt.
Wie gesagt, den Konflikt, den Markus in der Bibel beschreibt, den können wir kaum verstehen. Erstens: Unser Ruhetag ist, wenn überhaupt, der Sonntag und nicht der Sabbat, der von Freitagabend bis Samstagabend geht. Und zweitens: die ersten gut 300 Jahre ihrer Geschichte kamen Christen gut damit aus, am Sonntag zwar Gottesdienste zu feiern, aber nicht unbedingt Ruhe zu halten. Die Mehrheit lebte im römischen Umfeld und da war der Ruhetag nicht wichtig. Für die Christen, und das gilt eigentlich auch für Martin Luther und noch lange, lange nach ihm, war es sowieso nicht wichtig, Ruhe zu halten. Feiertagsgebot, das hieß: Man soll in den Gottesdienst gehen und in dieser Zeit nicht arbeiten. Komplett arbeitsfreie Ruhetage sind in christlich geprägten Gegenden dieser Welt eine sehr moderne Erfindung, die erst in der Zeit der Industrialisierung weniger von der Kirche als vielmehr von der Arbeiterbewegung durchgesetzt wurde.
Diejenigen, denen meine Predigten sowieso immer zu lang sind, die könnten jetzt sagen: Na, dann ist ja gut! Dann haben wir als Christen sowieso relativ wenig damit zu tun. Also tschüss,

Zehnfache Freiheit - nicht gerade knallhart durchgesetzt - 18. Sonntag nach Tr., Reihe V

Text: Exodus (2. Mose) 20,1-17
Die Predigt habe ich eigentlich am 19. n. Tri, dem 6.10.13, gehalten. Durch die Kirchenvorstandswahl in unserer Landeskirche haben wir Erntedank vorgezogen und ich wollte gern mal wieder die Zehn Gebote predigen


Liebe Gemeinde!
Regeln, die nicht durchgesetzt werden, sind nichts wert. Oder? In Marburg erlebe ich unglaublich viele Fahrradfahrer, die garantiert älter als 12 Jahre sind und trotzdem auf dem Bürgersteig fahren. Jeden Tag sehe ich jede Menge Leute, die verbotenerweise mit dem Handy während des Autofahrens telefonieren oder, noch gefährlicher, sogar Mitteilungen schreiben. Und an Geschwindigkeitsbeschränkungen halte ich selbst mich ja vor allem dann, wenn ich weiß, dass da oft kontrolliert wird. Sonst kann’s bei mir auch sein, dass ich leicht mal zu schnell bin. Vom Kaugummiverbot in der Richtsbergschule will ich erst gar nicht reden. Regeln, die nicht knallhart durchgesetzt werden, nützen wenig. Sagt man wenigstens. Also: was nützen eigentlich die Zehn Gebote? Das werde ich tatsächlich immer wieder gefragt. Von Schülern genauso wie von Konfis, von jungen und alten Erwachsenen. Da hält sich doch sowieso keiner dran – ein Standardsatz meiner Neunt- und Zehntklässler. einem, der nicht an Gott glaubt, geht es doch sichtbar keinesfalls schlechter, jemandem, dem die Feiertage egal sind und der sonntags voll durcharbeitet auch nicht – geht doch in unserer modernen Gesellschaft auch nicht anders. Ehebruch??? Wen juckt denn das noch, schauen sie sich mal die Scheidungszahlen und die Wirklichkeit in vielen Familien an, Geklaut wird überall, und wenn’s das Paar Handschuhe aus der Firma ist oder die Steuer, die eigentlich der Allgemeinheit zusteht und die durch Tricks und Lügen nicht gezahlt wird. Okay, das mit den Eltern vielleicht… - aber wenn die zu mir nicht nett waren und das muss sowieso jeder selber wissen. Alles Beobachtungen, Aussagen, Meinungen, die ich nicht widerlegen kann, weil sie nicht so einfach falsch sind. Und wahrscheinlich können die meisten hier das wahrscheinlich noch aus eigener Erfahrung mit anderen Beispielen ergänzen. Nochmal: was nützen eigentlich die Zehn Gebote, außer dass sie als Lernstoff zum Auswendiglernen für Konfis gut sind, wenn sie ganz offensichtlich nicht mit Androhung von Gewalt oder Strafe durchgesetzt werden?
Die Zehn Gebote in der Form, wie die Bibel sie uns überliefert, sind ein mindestens dreifaches Angebot Gottes. Und kein Gesetzbuch. Sie sind einmal ein Angebot, in guter Beziehung zu Gott zu bleiben. Dann das Angebot, in guter Beziehung zu Mitmenschen zu leben. Als drittes das Angebot, frei zu bleiben. Und vielleicht fallen ja anderen hier im Gottesdienst noch ganz andere Gesichtspunkte und Angebote ein. Ich bin neugierig. Sagt’s mir, sagen sie’s mir ruhig – wenn ihr, wenn sie den Mut haben, ruhig während der Predigt, sonst gern auch nachher. Aber jetzt zu den drei Angeboten.
Das erste Angebot dieser zehn Gebote: eine gute Beziehung zu Gott. Wenn ich jetzt frage: wie fangen die Zehn Gebote an?, dann würden die meisten, die in Konfer gelernt haben, wohl antworten: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ Das ist das erste Gebot. Ja, das ist das erste Gebot. Aber so fangen die Zehn Gebote nicht ganz an. „Und Gott redete alle diese Worte: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland aus der Knechtschaft geführt habe“. Das ist sozusagen die Überschrift, unter der alles, was dann kommt, gehört und verstanden werden will. Die Zehn Gebote beginnen nicht mit Regeln und mit Verhaltensaufforderungen, nicht mit Verboten oder anderem. Sondern damit, dass Gott redet. Das Gespräch sucht, eine Beziehung herstellt. Es sind keine vom Himmel auf unerklärliche Weise gefallenen Worte, sondern Ausdruck einer Beziehung. Anrede, die auf Antwort und nicht auf blinden Gehorsam, der nicht nachdenkt und sich von dem, der die Regeln setzt losgelöst hat, zielt. Die Gebote sind keine Befehle, die einfach zu befolgen sind, ohne Nachdenken und ohne sie mit Leben zu füllen, sondern Angebote, wie der Mensch sinnvoll auf die von Gott ins Leben gerufene Beziehung, auf die von Gott geschenkte Freiheit antworten kann. Gott stellt sich vor. Er ist der, der die Menschen aus der Knechtschaft, aus der Sklaverei, aus dem Leben, in dem sie blind befolgen mussten,