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Samstag, 25. Februar 2012

Wie geht's? - Gut! - Wirklich? - Invokavit, 25.02.12, Reihe IV

Liebe Gemeinde!
Du hast es gut, Paulus! Du hast es so richtig gut! Du lässt dich nicht unterkriegen. Egal, was dir an traurigen Dingen passiert: Du hältst den Kopf oben! Immer voller Freude, auch im Gefängnis, auch wenn dir andere mit dem Tod drohen. Arm, ohne Besitz, angefeindet – na und? Du kommst mit allem klar! Du Superheld, du! Nichts haut dich um!
Mir macht Paulus Angst. Wenn er wenigstens sagen würde: „Mir geht’s gut. Ich hab einen tollen Job, ich muss mir finanziell keine Sorgen machen, ich habe viele Freunde, mir will niemand was Böses, ich bin gesund – ich hab keinen Grund, dass es mir schlecht geht. Und dazu glaube ich so fest an Gott, dass ich weiß, er ist für mich da! Meinen glauben hat nichts erschüttert!“ Wenn er wenigstens so was sagen würde, dann könnte ich sagen: „Ja, Mann, das kann ich verstehen! Du hast echt das große Los gezogen. Super, dass es dir gut geht!“ Aber so macht er mir Angst. Paulus macht mir Angst, weil ich mich frage: „Was würde ich eigentlich sagen, wenn es mir so wie ihm gehen würde? Wenn hinter meinem Rücken geredet und gelästert wird, wenn ich wegen meines Glaubens ins Gefängnis müsste, wenn ich Folter, Schläge, Drohungen aushalten müsste, wenn die, in die ich großes Vertrauen hatte, beginnen, sich von mir abzuwenden?“
 Das alles ist Paulus passiert. Ihm geht’s gut. Ich glaube nicht, dass es mir gut gehen würde, wenn ich das alles hätte erleben müssen. Vielleicht würde ich, wenn ich das eine oder andere davon erlebt hätte, schon sagen: „Ganz gut!“ wenn mich jemand fragt, wie’s mir so geht. „Ganz gut“, „Normal“, „Passt schon“ – die üblichen Antworten halt auf die Frage, wie’s einem so geht.
Viele sagen, dass diese Antworten gegeben werden, weil’s den anderen ja sowieso nicht interessiert und man nur aus Höflichkeit und weil es üblich ist, so fragt beziehungsweise gefragt wird. Aber ich glaube, dass die Antworten hin und wieder auch Selbstschutz sind. Ich glaube, manchmal ist es die Angst, nicht aufhören zu können, wenn man von seinen Niederlagen und seinen Sorgen erzählt, die einen dazu bringt, oberflächlich zu antworten. Oder die Angst davor, schwach zu wirken. Klar, wenn man wie Paulus sagen kann: „Das macht mir alles nichts aus“, dann kann man das schon offen sagen. Aber was ist, wenn’s einem doch was ausmacht?
Mir machen Leute Angst, denen nichts etwas ausmacht. Mir machen sie Angst, weil ich mich dann noch kleiner, dümmer, schwächer fühle und denke, ich darf noch weniger zeigen, dass nicht alles einfach so an mir vorbeigeht und dass es mir immer wieder auch mal schwer fällt, das Gute zu sehen.
Mir machen aber auch Leute Mut, die mich von dem Wahn befreien, dass ich perfekt sein müsste oder mein Leben perfekt sein müsste, damit es gut ist. Mit machen Leute Mut, die mich auch mal freundlich in den Hintern treten, damit ich ihn hochkriege und nicht im Selbstmitleid hocken bleibe. Mir machen Leute Mut, die mir helfen, die Augen aufzukriegen und zu sehen, dass nicht alles super und perfekt sein muss, damit ich leben kann.
Und da finde ich gerade den Anfang von dem, was ich eben vorgelesen habe, ganz hilfreich. „Als Gottes Mitarbeiter wenden wir uns auch an euch; wir bitten euch: Lasst die Gnade, die Gott euch schenkt, in eurem Leben nicht ohne Auswirkungen bleiben“, schreibt Paulus da. Klar, das kann man als einen Anspruch verstehen, der da wieder mal gestellt wird. Schon wieder muss man was tun. Schon wieder soll man funktionieren.

Heute ist der erste Tag deiner Zukunft - Sonntagsgedanken für die Oberhessische Presse, 25.02.12

Zukunft ist was Wunderbares. Wenn man mit 16, 19 oder 20 Jahren die Schule abgeschlossen hat, einen Studienplatz oder Ausbildungsvertrag in der Tasche hat und einem die ganze Welt offenzustehen scheint. Zukunft ist was Wunderbares. Wenn man gerade glücklich geheiratet hat und sich Träume vom gemeinsamen Leben machen kann. Zukunft ist was Wunderbares. Wenn man gerade Vater oder Mutter eines gesunden Kindes geworden ist, das man sich auch gewünscht hat und finanziell einigermaßen abgesichert ist. Zukunft ist was Wunderbares, wenn… - und wenn nicht? Heute ist der erste Tag deiner Zukunft – wenig verlockende Aussicht, wenn es der erste Tag ohne Job ist. Oder wenn ich eine niederschmetternde medizinische Diagnose bekommen habe. Oder gerade verlassen worden bin. Oder die Abiprüfung, Examen oder anderes sich wie eine unüberwindliche Hürde vor mir auftürmt. Oder wenn Krankheit und Alter das Verlassen der geliebten und gewohnten Umgebung unausweichlich gemacht haben.
Es ist ein Märchen, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt, „der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“, wie Hermann Hesse es in seinem Gedicht „Stufen“ beschreibt. Es gibt Anfänge, die in eine Zukunft weisen, die nicht gerade zauberhaft zu werden verspricht. Ich selber finde es manchmal unerträglich, wenn dauergrinsende Zombies, die sich manchmal auch Motivationstrainer nennen, mir einhämmern wollen: „Denke positiv!“ Nur mit positiven Gedanken allein lässt sich die eigene Zukunft nicht zum Guten lenken. Ich finde es anmaßend, Menschen weis machen zu wollen: „Alles wird gut!“ Es wird nicht alles gut. Aber manchmal finde ich es sehr hilfreich, sich nicht in einer tatsächlichen oder auch nur gefühlten Leidensspirale nach unten ziehen zu lassen.
Da gibt es einen Menschen, dem droht sein Lebenswerk völlig zu entgleiten. Er hat Beziehungen geknüpft, Netzwerke aufgebaut – und plötzlich lassen die, die ihn eben noch gut fanden, ihn fallen. Ideen, die gestern noch gut waren, scheinen heute nichts mehr zu gelten. Andere haben sich in den Vordergrund gespielt. Der Mensch ist unten angekommen. Gefängnis, üble Nachrede, böse Gerüchte – das kennt er nicht nur aus fremden Erzählungen, das war oder ist Teil seines Lebens. Nein, nicht des Lebens von Anton Schlecker oder Christian Wulff. Teil des Lebens von Paulus. Seines Zeichens Christ, Missionar, Apostel, Gemeindegründer. Vor fast 2000 Jahren. Viele halten ihn für gescheitert. Mit seiner wichtigsten Gründung, der Gemeinde in Korinth, lebt er in heftigem Streit. Und genau in dieser Situation schreibt er: „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils“ (2. Korinther 6,2). Die Gegenwart ist nicht deshalb gut und heilsam, weil sie so schön ist, sondern weil es eine Zeit ist, in der Gott sich nicht aus der Welt verabschiedet. Gott selber hat sich schwach gezeigt. Jesus am Kreuz – für viele Menschen, nicht nur zu Zeiten des Paulus, eine lächerliche Niederlage. Was Paulus, und mit ihm und nach ihm und vor ihm viele, die Gott vertrauen, stark gemacht hat, ist nicht das Leugnen oder Ausblenden von Leid und Schwäche. Es ist die Hoffnung und das Vertrauen, dass das Leid nicht das letzte Wort behält und dass aus der Schwachheit neues Leben entsteht.  Die Zukunft wird nicht leicht und rosig und manches wird auch in Zukunft danebengehen. Aber auch da wird Gott sich nicht verabschieden, sondern Kraft zum Leben geben.
Heute ist der erste Tag deiner Zukunft! So richtig wie banal. Mir bleibt nichts anderes, als diesen Tag zu leben. Und jeden anderen Tag meiner Zukunft auch. Mir bleibt die Hoffnung, dass dieser erste Tag, wie alle anderen Tage auch, nicht gottverlassen ist, auch wenn manche Tage so wirken. Und mir bleibt Vertrauen. Vertrauen in Gnade und Heil, die nicht künstlich beschönigen, aber aktiv helfen, das Leben anzunehmen. Ich habe kein anderes. Heute ist der erste Tag meiner Zukunft. So ist es.

Samstag, 11. Februar 2012

Ich will mich (nicht) ändern (und die Welt bleibt sowieso, wie sie ist) - Sexagesimae, 12.02.2012, Marginaltext

Text: Matthäus 13,33
Liebe Gemeinde!


In Reli ist es viel zu laut, Herr Kling-Böhm, da kann ich mich gar nicht konzentrieren und mitmachen! Stimmt, wenn du mal aufhören würdest, mit deinen Nachbarinnen zu schwätzen, wäre es ruhiger und du würdest besser werden. Aber der Luca und der Leon und der Nico stören doch viel mehr. Und da ist es dann so laut, da reden wir halt auch, wir kommen ja sowieso nicht weiter im Unterricht! Wir kommen nicht weiter, weil jeder glaubt, der andere sollte zuerst aufhören mit dem Schwätzen! Ist doch so, sonst hat es ja keinen Sinn! Wenn du denkst, dass es besser ist, wenn alle einigermaßen ruhig sind, dann fang du doch an. Die anderen werden schon nach und nach mitmachen. Nö, das ist mir zu anstrengend. Wenn alle ruhig sind, mach ich mit! Sie müssen uns halt bestrafen und strenger sein, mit Nachsitzen oder so. Oder es so machen wie der Herr XXXX. Da müssen wir nur 20 Minuten arbeiten und dann können wir machen, was wir wollen.

Ein nicht gerade untypisches Gespräch mit Menschen aus meiner 8. Klasse, die ich übrigens wirklich gern unterrichte, nicht nur, weil sie mir immer wieder Stoff für Predigten liefert. Ganz ehrlich und offen wird hier ausgesprochen, was bei uns Erwachsenen genauso oft üblich ist. Die Haltung zum Beispiel: „Wenn alle das Richtige tun, dann mach ich auch mit. Aber ich bin doch nicht so blöd und fange an! Da sollen die anderen mal anfangen, damit nicht jemand mein richtiges Handeln ausnutzt. Schließlich ist der Ehrliche ja oft genug der Dumme!“ ein Beispiel ist für mich das ganze Hin und Her und die Diskussion über unseren Bundespräsidenten, die mich mittlerweile nicht nur anödet, sondern richtig anwidert.

Klar, vieles ist da sehr falsch gelaufen von ihm. Wie einfach wäre es gewesen, ganz früh zu sagen: „Also hört mal, ich weiß, dass ich einiges gemacht habe, das zwar nicht ungesetzlich war, dass aber trotzdem falsch ist, weil es Menschen dazu bringt, zu denken, dass Politik käuflich ist. Ich will es besser machen, gebt mir die Chance und messt mich daran, ob ich aus den Fehlern wirklich gelernt habe!“ Ehrlichkeit, Vergebung, die Chance, neu anfangen zu dürfen – davon rede ich gern in Predigten. Und wenn Gott uns Menschen nicht auf unsere Fehler festlegt, dann dürfen wir das in unserem Umgang miteinander ruhig mal probieren.

Aber stattdessen wird auf der einen Seite gar nicht aufge-räumt und auf der anderen Seite – und das widert mich so richtig an - so getan, als ob die Journalisten der Bild-Zeitung und des Spiegel, und der sogenannte kleine Mann oder die sogenannte einfache Frau so viel besser wären. „Die da oben, die gucken doch nur auf ihren Vorteil, denen kann man doch nicht trauen!“ Das höre ich immer wieder. Ich frage mich, wie viele von denen, die so reden, tatsächlich bereit sind,

Samstag, 4. Februar 2012

Ich weiß, was Gott will??? - Septuagesimae, 05.02.12, Reihe IV



Text: Jeremia 9,22-23

Liebe Gemeinde!

Woher weiß ich eigentlich, was Gott mir sagen will? Woher weiß ich, was wirklich von Gott kommt, was Gottes Wort für mich ist, und was sich Menschen ausgedacht haben? woher weiß ich, dass ich mir nichts einbilde, wenn ich glaube, dass Gott etwas will, mit mir, für mich, für die Welt? Nicht nur in der Schule oder im Konfirmandenunterricht, nicht nur im Gespräch mit Jugendlichen, mit jungen Erwachsenen tauchen solche Fragen auf. Auch ältere und alte Menschen stellen solche Fragen. Es ist ein Märchen, wenn man denkt, dass im Alter der Glauben an Gott fester und sicherer wird. Bei gar nicht mal wenigen ist es auch so, dass sie im Alter kritischer und zweifelnder werden, weil sie sehr viel erleben mussten, dass ihren Glauben an Gott, der behü-tet, beschützt, der greifbar ist, in Frage stellt. Es sind für mich keine rhetorischen Fragen, wenn junge oder alte Menschen so fragen: „Woher weiß ich, was Gott will? Woher weiß ich, dass ich mir nichts einbilde, nichts vormache, wenn ich glaube? Woher weiß ich, dass mir andere, Pfarrer, kirchliche Mitarbeiter, Lehrer, Eltern, Großeltern nicht irgendeinen selbst ausgedachten Unsinn erzählen?“

Ich könnte es mir leicht machen. Ich könnte sagen: „Werde still, öffne dein Herz, bete, und dann redet Gott zu dir!“ Ich könnte sagen: „Lies in der Bibel! Da begegnet dir Gottes Wort, da kannst du lesen, was Gott will!“ Ich könnte sagen: „Nimm dir das zu Herzen, was Vorbilder im Glauben getan und gesagt haben oder tun und sagen!“ Ich könnte es mir leicht machen. Nichts von dem ist falsch. Aber wirklich richtig ist auch nichts von dem. Ich weiß nämlich selber nicht, wie es funktioniert. Und ich glaube, dass niemand auf der Welt, auch nicht der frömmste und beste Christ, das wirklich wissen kann. Der erste Schritt, zu erfahren, was Gott mir für mein Leben, was Gott für die Welt, für das Leben überhaupt zu sagen hat, ist es , dass ich mich traue, unsicher zu sein.