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Freitag, 28. Dezember 2012

Dazwischen! - Jahreslosung 2013, gehalten Silvester 2012

Predigt Silvester 12, Jahreslosung 2013: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir (Hebr. 13,14)

Liebe Gemeinde!
Wir leben dazwischen. Selten wird mir das so bewusst wie in diesen Tagen. In den Tagen, die man „zwischen den Jahren“ nennt, an Silvester, dem letzten Tag des Jahres.  Eigentlich passiert ja gar nichts Aufregendes. Genauso wie am 9. Januar, am 24. März oder am 17. Oktober geht die Sonne unter und aller Wahrscheinlichkeit auch wieder auf, machen Menschen in der Welt unterschiedliche Dinge, gibt es fröhliche und traurige Menschen, werden Kinder geboren und andere Menschen sterben. Es gibt Kriege, Hunger und Elend genauso wie viele Gelegenheiten, sich zu freuen. Es passiert nichts Außergewöhnliches. Wenn man Papierkalender hat, wird eben ein neuer aufgehängt oder in die Tasche gesteckt. Den Nutzern elektronischer Kalender wird einfach morgen früh eine andere Jahreszahl angezeigt. Trotzdem bringen mich diese Tage, insbesondere der letzte Tag des Jahres, immer wieder zum Nachdenken. Die Zeit vergeht eben nicht nur irgendwie neutral, sondern mit ihr vergeht unweigerlich auch ein Stück eigenes Leben. Wieder ein Stück Zeit, das eben noch als Zukunft vor mir lag und nun Vergangenheit geworden ist. Prägungen für das weitere Leben waren vielleicht  dabei, vieles aber auch, was jetzt schon nicht mehr richtig erinnert werden kann, was verschwimmen und vergehen wird. Nichts bleibt für die Ewigkeit, noch nicht mal die Erinnerung. Oder bleibt doch etwas? Die Hoffnung auf eine Zukunft, die gut sein wird? Das Vertrauen in einen Gott, der vor aller Zeit war, der sich in dieser Zeit erfahren lässt und der nach aller Zeit noch sein wird? Gott, der uns in dieser Zeit hält, der uns hilft, diese Zeit anzunehmen und der uns über diese Zeit hinausführt? Ist es das, was bleibt? Oder die Erfahrung, dass im Gedächtnis der Menschen und der Menschheit sehr wohl Platz ist für Geschichte, dass wir sehr wohl Wurzeln in der Vergangenheit haben und um diese Wurzeln wissen? Vergehen oder Bleiben?
Wir leben dazwischen, finde ich. Zwischen ernüchternder Erfahrung und lebendiger Hoffnung.  Beides ist Teil unseres Lebens. Beides gehört zum Menschsein und vor allem zum Christsein dazu. Wir leben dazwischen. Denn da spielt sich Leben ab. Zwischen dem Wunsch nach Halt, Ruhe und Beständigkeit und der Sehnsucht und Hoffnung auf eine möglichst gute und bessere Zukunft. Manchmal bildet sich das auch räumlich ab. Mir begegnen immer wieder Menschen, die sagen: „Es ist doch furchtbar, so ein eigenes Haus, eine gut eingerichtete Wohnung zu haben.

Samstag, 22. Dezember 2012

Besuch von ganz oben - 1. Weihnachtstag 2012, Reihe V

Text: Joh 3,31-36, Reihe V
Liebe Gemeinde!
Besuch von oben kommt! Wer im Berufsleben steht, der weiß, dass das oft genug mit gemischten Gefühlen verbunden ist. Der Chef kommt – da fallen einem doch gleich alle großen und kleinen Dinge ein, die nicht so gut gelaufen sind. Die möchte man dann nicht so gern zeigen. Schnell noch ein bisschen hier und da was ändern – damit der Chef einen guten Eindruck bekommt. Ob in der Schule die Schulinspektion angesagt ist, ob in der Kirche der Bischof mal vorbeikommt oder ob die eigene Mutter zu Besuch kommt – man will gut dastehen. Wenigstens einigermaßen soll alles in Ordnung gebracht werden. Und gerade beim letzten Besipiel finde ich es wirklich zum Schmunzeln, wie man als längst erwachsener Sohn, als längst erwachsene Tochter, die lange nicht mehr mit den Eltern unter einem Dach lebt, doch darauf achtet, den Maßstäben, die die Mutter in der Kindheit gesetzt hat, einigermaßen gerecht zu werden. Das ist nicht nur bei mir so, das erlebe ich ganz oft. Gut da stehen, nicht enttäuschen, auch wenn dazu ein bisschen getrickst und der Alltag ein bisschen kosmetisch aufgehübscht werden muss. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich vielleicht sogar dem Aufräumen und Putzen, dem Schmücken und Herrichten der Wohnung vor Weihnachten etwas abgewinnen. Viele versuchen, gerade zu Weihnachten etwas anderes, Schöneres, als den normalen eigenen Alltag zu zeigen. Weil Besuch von oben kommt? Weil man Jesus ein schönes Bild vom eigenen Leben zeigen will oder ihm dadurch, dass man aufgeräumt und alles so schön es geht gemacht hat, zeigen will, dass er wichtig und willkommen ist? Oder weil es einfach dazugehört, weil es alle machen und weil man irgendwie glaubt, nicht dazuzugehören, wenn man es nicht macht?
Eine Zeit lang war ich kritisch gegenüber allen äußeren Weihnachtsvorbereitungen. Und was Deko angeht, bin ich bis heute eher typisch Mann, da habe ich nicht so ein Händchen für. Aber mittlerweile finde ich auch, dass durch Äußerlichkeiten durchaus ausgedrückt werden kann, was einem innerlich wichtig ist. Klar, sehr viele nutzen Äußerlichkeiten zur Selbstdarstellung oder als letztlich innerlich leere Traditionspflege. Aber ich kann nicht über die inneren Einstellungen von anderen urteilen. Ich sehe nur, was vor Augen ist. Tiefer sehen kann nur der, der wirklich den Überblick hat. Der, der von oben schaut, von oben kommt. Der, der wirklich Herr über das Leben ist, neben dem alle irdischen Chefs, Direktoren, Meister, Bischöfe und selbst Mütter blass und klein aussehen. Gott, der in Jesus menschliche Gestalt angenommen hat. Der Leben überblickt, der tiefer sieht, als je ein Mensch das könnte.
Davon redet der Täufer Johannes zu Menschen vor langer Zeit in den Versen aus dem Johannesvangelium, die heute als Predigttext vorgesehen sind und die für mich auf den ersten Blick wenig weihnachtlich daherkommen. Im 3. Kapitel, in den Versen 31-36, werden diese Worte als Teil einer Rede des Täufers überliefert:
 Nicht nur Besuch von oben, der auch wieder geht, sondern einer, der von oben kommt und das Leben nicht nur irgendwie verändert, sondern der die Grenzen des Lebens sprengt.

Der schöne Schein - Christvesper am Hl. Abend, Reihe V

Joh 7,28f.  i.V. mit „Die Heilige Nacht“ von Fritz von Uhde,
Liebe Gemeinde!
Die Kerzen fangen zu brennen an / das Himmelstor ist aufgetan / Alt und Jung sollen nun / Von der Jagd des Lebens einmal ruhn / Und morgen flieg ich hinab zur Erden / denn es soll wieder Weihnachten werden“. Jetzt ist es soweit, wie Theodor Storm es in seinem Gedicht vom Knecht Ruprecht beschrieben hat. Hoffentlich. Hoffentlich ist das Christkind auf der Erde, nicht als rot bemantelter Geschenkebringer, sondern als lebendige Liebe, die von Gott kommt. Hoffentlich gelingt es uns, nicht nur in dieser Stunde Gottesdienst am Heiligabend von der Jagd des Lebens ein wenig zu ruhen. Wenigstens tauchen die Kerzen heute Abend die Kirche in ein schönes, warmes Licht und hoffentlich erreicht dieser schöne Schein nicht nur die Augen, sondern auch unsere Herzen. Der schöne Schein, der über allem ist. Ich habe ihnen heute Abend eine Karte von einem gut 130 Jahre alten Bild des Malers Fritz von Uhde geschenkt. Ich habe sie ausgesucht, weil mich der schöne Schein auf dem Bild unmittelbar angesprochen hat. Das Kind, in dem sich Gott offenbart, liegt behütet und von warmem Licht beschienen in einem Stall. Finsternis ist noch da. Aber dort, wo das Kind ist, ist es warm und hell. Eine schöne junge Frau betrachtet liebevoll das Kind, in dem sie Gottes Wirken erkennt, wie an ihren zur Anbetung gefalteten Händen zu  erkennen ist. Links, eigentlich im Stil der alten Altarbilder ein eigenes Bild, stehen andächtig Hirten, die ebenfalls etwas von diesem schönen Schein abbekommen und rechts singt ein Engelchor aus schönen Kindern im warmen Licht. Für mich ein schönes Bild. Ein schöner Schein – wie unsere Christvesper im Kerzenschein. Interessant ist die Geschichte des Bildes. In der ersten Fassung hat der Maler eine etwas ältere Maria mit einer krummen, großen Nase gemalt, die Haare längst nicht so anmutig. Und links kamen keine Hirten, sondern Fabrik- und Landarbeiter, dreckig, direkt von der Arbeit. Und der Engelchor hätte meine 9. Klasse sein können. Liebenswert, aber chaotisch, manchmal frech und ziemlich durcheinander. Die Kritiker sagten, dass man doch Weihnachten nicht so hässlich darstellen könne – und der Maler hat das Bild tatsächlich korrigiert und übermalt und wirklich den schönen Schein gemalt. Darf man das? Weihnachten ganz realistisch malen? Darf man das? Die Wirklichkeit übermalen und einen schönen Schein zaubern? Ist nicht Weihnachten sowieso viel zu viel schöner Schein da, der nur eine trübe, manchmal raue und hässliche Wirklichkeit überdecken soll? Es ist gefährlich, gerade an Weihnachten vom schönen Schein zu reden. Leistet man damit nicht Kritikern Vorschub, die Christen vorwerfen, dass sie sich und der Welt nur was vormachen mit ihrem Glauben, der doch nur bestenfalls ein frommes Märchen ist, aber für die wirkliche Welt nichts zählt? Oder trauen wir uns erst recht, vom schönen Schein zu reden, der uns etwas von Gott erfahren lässt, der schon jetzt -und nicht erst in irgendeiner fernen Zukunft Leben und Welt verwandelt, der schon jetzt ganz normalem, einfachem, manchmal schwerem und rauem Leben einen Glanz gibt, den es sich selbst niemals geben könnte? Einen Glanz, der Wirklichkeit nicht künstlich schönt und tarnt, sondern der Leben tatsächlich verändert? Es wird Weihnachten – aber wer ist da zu uns auf die Erde gekommen? Ein romantisch glänzendes Christkind, holder Knabe im lockigen Haar? Oder Gott, der die Welt verändert und durch seine Gegenwart einen schönen Schein in alles Leben bringt?

Gott bei der Arbeit... - 3. Advent (und auch am 4. gehalten) 2012, Reihe V

Liebe Gemeinde!
Manchmal ist es schön, anderen bei der Arbeit zuzusehen. Aber dabei gibt’s Unterschiede. Einmal gibt’s die bequeme Art. Ich lehne mich gemütlich zurück, lasse andere für mich arbeiten. Wenig Einsatz, bei dem möglichst viel für mich herauskommt. Faul sein soll sich schließlich lohnen. Diese Art von Zusehen meine ich nicht. Ich finde sie auf Dauer unmenschlich, weil sie unglaublich egoistisch ist und andere Menschen nicht als Menschen, sondern nur als Mittel zum Zweck sieht, die hoffentlich dumm genug sind, das Ganze nicht zu durchschauen. Es gibt aber auch eine andere Art von Zusehen. Die, bei der ich mir die Zeit nehme, genau hinzuschauen, was der andere macht. Weil es mich vielleicht interessiert, weil ich was daraus lernen kann, weil ich Anregungen für die eigene Arbeit finde, weil ich auch mal Zeit zur Ruhe finde. Diese Art, anderen bei der Arbeit zuzusehen, ist ganz wichtig und wertvoll. Wer immer nur für sich selbst arbeiten will, wer glaubt, immer nur aktiv sein zu müssen, der verlernt es auf Dauer, zu lernen, zu leben. Der bleibt in sich selbst gefangen und wird am Ende wirklich leer und hohl wie seine Arbeit vermutlich auch. Es ist zutiefst menschlich, hinschauen zu können, von der Arbeit der anderen für sich selbst zu lernen und das, was für das Eigene passt, mitzunehmen. Und genau das erleben wir hier in der ersten Hälfte von dem, was ich gerade als Predigttext vorgelesen habe. Dieser Abschnitt aus dem Prophetenbuch gibt uns einen Einblick in die himmlische Arbeit Gottes. Er lässt uns Gott sozusagen bei der Arbeit zuschauen. Natürlich kann jetzt ganz viel dagegen gesagt werden.
Zum Beispiel: „Pfarrer, warum redest du vom Himmel? Davon steht nichts in den Bibelworten. Und im Himmel fliegen Flugzeuge und da gibt es ferne Galaxien, aber dass Gott da wohnt, diese Vorstellung passt doch nicht in die heutige Zeit.“ Alles richtig. In der Schule waren Mathe und die Naturwissenschaften meine liebsten Fächer. Und trotzdem finde ich, dass Himmel als Bild für eine Art Wohnort Gottes aus vielen Gründen gut ist.  Erstens hat es was mit unserem normalen Leben zu tun, ohne das es das Gleiche wäre wie unser Leben hier auf der Erde. Zweitens können wir aus eigener Kraft nicht so einfach dahin. Trotz aller Forschung und aller Hilfsmittel bleibt es uns doch auch ein ganzes Stück weit entzogen. Und drittens lädt der Himmel einfach dazu ein, nach oben zu schauen, ihn zu betrachten. Gott will uns nicht niederdrücken, wir sollen nicht dauernd nach unten sehen, sondern er will uns aufrichten – auch das steckt für mich in diesem Bild. Und der Einwand, dass das so nicht wörtlich in dem steht, was ich aus der Bibel vorgelesen habe, ist nur die halbe Wahrheit. Oft wird gerade dieser Abschnitt aus dem Buch Jesaja so verstanden, als würde von Anfang der Mensch, der in besonderer, guter Beziehung zu Gott steht, angeredet. „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht der Herr“, oft wird das so verstanden, als sollte man als Mensch, der eine besondere Nähe zu Gott hat, loslegen und zu allen gehen, die man für trostbedürftig hält und sie am besten auf einmal trösten. Die Kinder ohne Eltern und die alleinlebenden Alten und die Leute in den Gefängnissen und die Kranken und die Trauernden und die und die und die und die und die auch noch. Vor lauter Trostbedürftigkeit kann einem ganz schwindlig werden und der Auftrag, da überall zu trösten, der würde auch den frommsten Christen und den gläubigsten Juden am Ende umhauen. Der Auftrag an den MENSCHEN, hier in der Gestalt des Propheten, der kommt in unserem Bibelabschnitt erst in der Mitte. Da heißt es „Es sprach eine Stimme: Predige!, und ICH sprach: Was soll ich predigen?“ Vorher gewährt uns diese Geschichte aus der Bibel einen Einblick in die HIMMLISCHE Arbeit Gottes. Natürlich kann man da fragen: „Aber mit wem redet Gott denn da?“

Freitag, 30. November 2012

Ein dickes Lob - für Gott, für Merkel, für den OB, für die Lehrerinnen und die Schüler! - 1. Advent, 02.12.12, Reihe V

Text: Lukas 1,67-79
Liebe Gemeinde!
Ich will heute zuallererst mal unsere Bundesregierung, die Landesregierung und den Oberbürgermeister und den Bürgermeister von Marburg loben. Ich finde es einfach toll, dass es Menschen gibt, die einen großen Teil ihres Privatlebens aufgeben. Die sich in die Öffentlichkeit stellen, weil eben Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden müssen. Die sich angreifbar machen, nicht nur für berechtigte Kritik, sondern auch für jede Menge üble Beschimpfungen und Beleidigungen. Die trotzdem nach bestem Wissen und Gewissen und nach Recht und Gesetz Arbeit machen, die, so vermute ich mal, keiner von uns hier im Gottesdienst machen will und die wenigsten, mich eingeschlossen, gut machen würden. Ein großes, dickes Lob. Ein Lob auch an die Lehrer, die mit einer oft unverständlichen Bürokratie kämpfen müssen, die täglich oft unmotivierten, frustrierten, manchmal respektlosen Schülerinnen und Schülern gegenüberstehen, die sich mit Eltern beschäftigen müssen, die grundsätzlich alles besser wissen oder die sich nicht um die Erziehung ihrer Kinder kümmern, und die sich trotzdem oft gut vorbereitet jeden Morgen aufmachen um jungen Menschen zu helfen, ihr Leben zu meistern. Ein großes, dickes Lob. Und ein genauso großes Lob auch an alle Schüler. An die Hauptschüler, denen oft nichts zugetraut wird, über die andere lästern. An die Gymnasiasten, die mit übervollen Stundenplänen zu kämpfen haben. An die Schüler der Mittelstufe, die manchmal nicht nur wegen der Pubertät total orientierungslos sind. An alle, die mit manchmal schon ziemlich ungerechten Noten oder Vorurteilen zu kämpfen haben und die sich trotzdem jeden Morgen aus dem Bett quälen, die trotz allem die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass im Schulbesuch doch ein tieferer Sinn steckt. Ein großes und ernstgemeintes Lob an sie, an euch alle.
Was soll das jetzt? Könnten vielleicht manche denken. Politiker treffen viele unsinnige Entscheidungen, manchmal nicht zum Wohl der Mehrheit, sondern zum eigenen Wohl oder zum Wohl guter Freunde. Lehrer haben lang Ferien und werden gut bezahlt. Und Schüler sollen doch mal sehen, dass es in anderen Ländern nicht selbstverständlich ist, kostenlos in relativ gute Schulen gehen zu dürfen. Da muss man doch nicht loben! Nicht geschimpft ist gelobt genug! Der Rest ist doch selbstverständlich!
Ja, so leben Menschen manchmal. Nicht geschimpft ist gelobt genug! Erwachsene – aber auch Jugendliche und Kinder. Ich wahrscheinlich auch. Schade eigentlich. Und egoistisch. Diese Haltung drückt nämlich einen ziemlich egoistischen Anspruch aus. Erstens: ich weiß, was richtig ist und wie die Dinge laufen. Zweitens: ich habe einen Anspruch, dass alles so läuft, wie ich es für richtig halte. Drittens: wenn etwas nicht so läuft, dann habe ich das Recht zu meckern, alles andere ist ja mein gutes Recht. Also: wann haben sie, wann hast du das letzte Mal gelobt? Vielleicht sogar Gott gelobt? Denn ich glaube, dass sich beim Glauben an Gott oft das fortsetzt, was im Alltag normal zu sein scheint. Da wird ganz viel Bitte gesagt: bitte lass doch die Englisch- oder Mathearbeit nicht so schwer werden,  lass doch die Krankheit nicht so schlimm sein, lass die Menschen nicht hungern, lass die Kriege aufhören und so weiter. Und manchmal auch Danke. Danke, dass die Arbeit gut lief, danke, dass ich eine Freundin gefunden habe, danke, dass die Diagnose beim Arzt nicht so schlimm war. So eine Art Geschäft: Du, Gott, hast dafür gesorgt, dass mir was Gutes passiert ist, also sag ich mal Danke, damit es das nächste Mal wieder klappt. Aber Lob? „Danke Gott, dass du da bist, dass du viel größer bist, als wir uns das vorstellen können, dass du uns kennst und liebst, auch wenn wir oft genug Unsinn machen!“ Mit dem Lob ist das eben auch hier so eine Sache. Da herrscht manchmal so eine Meinung vor: „Also, Gott hätte doch alles perfekt machen können. Wenn er das nicht gemacht hat, ist er doch selber Schuld!

Freitag, 23. November 2012

Merkwürdig, sehr merkwürdig, dieses Leben - Ewigkeitssonntag, 25.11.2012, Reihe IV

Text: Jesaja 65,17-25
Liebe Gemeinde!
Am Ende wird alles gut! Ja, so soll es sein! Am Ende das Gute: Frieden, ein Leben ohne Schrecken. Ein Leben ohne Tränen und Leid. Ein Leben, in dem jeder sich durch seine Arbeit prima ernähren kann. Ein Leben ohne sterbende Kinder und trauernde Eltern. Ein Leben, das einfach nur schön ist. Ein Leben! Und was ist bis dahin? Am Ende wird alles gut! Und davor?
Es ist ein merkwürdiger Sonntag, den wir heute feiern. Merkwürdig im wortwörtlichen Sinn. Wenn wir im Alltag dieses Wort „merkwürdig“ benutzen, dann meinen wir seltsame Phänomene, die wir nicht richtig erklären können. Aber wenn man das Wort wirklich wörtlich nimmt, dann heißt das soviel wie: „wert, dass man es sich merkt“ oder „wert, dass es bemerkt wird“. Und das, was merkwürdig ist, ist das, was den normalen Gang unseres Alltags durchbricht und was uns dazu bringt, einmal vom Alltagsgeschäft Pause zu machen, nachzudenken, sich zu wundern, zu staunen, sich zu ärgern – kurz: Gefühle und Gedanken zu investieren. Und so ist auch dieser Sonntag. Die allermeisten Bibeltexte, die für die Gottesdienste heute vorgesehen sind, erzählen von einer wunderbaren Welt, in der es traumhaft schön zugeht. Und manche, die heute hier den Gottesdienst mitfeiern, haben schon den nächsten Monat voller Vorfreude im Blick: in gut vier Wochen feiern wir Weihnachten. Und genau an diesem Sonntag mit den schönen Bibeltexten und gar nicht mal so weit weg von Weihnachten, erinnern wir an die Menschen, die im zu Ende gehenden Kirchenjahr beerdigt wurden. Wir werden es nach der Predigt wieder hören. Da waren viele Menschen dabei, die alt und nach einem erfüllten Leben starben. 90, manchmal auch 99 Jahre alt sind sie geworden. Für manche kam der Tod als eine Erlösung nach schwerer Krankheit. Einige starben wirklich im Vertrauen darauf, dass Gott auch nach dem Tod gutes Leben bereithält. „Es sollen keine Alten mehr da sein, die ihre Jahre nicht erfüllen!“ Ja, bei manchen war das so. Sie fehlen ihren Angehörigen, ganz sicher. Aber sie durften in Frieden gehen. Und dann waren auch die vielen anderen da. Menschen, die starben und Kinder hatten, die ihr Elternteil noch gebraucht hätten. In einem Fall wächst ein Kind auf, das seine Mutter nie kennenlernen wird. Eltern sind da, die zurückbleiben,

Samstag, 10. November 2012

Nichts als die Wahrheit - drittletzter Sonntag des Kirchejahres, 11.11.2012, Reihe IV

Text: Hiob 14,1-6 (eigene Übersetzung: 1 Der Mensch, geboren von einer Frau, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe. 2 Wie eine Blume geht er auf und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch noch über einen solchen hältst du deine Augen auf und mich bringst du ins Gericht mit dir 4 Wer könnte dafür sorgen, dass rein aus unrein kommt? Kein Einziger! 5 Wenn die Tage eines Menschen fest beschlossen sind, liegt die Zahl seiner Monate bei dir; du hast seine Grenzen markiert und er überschreitet sie nicht. 6 Blick weg von ihm, damit er Ruhe hat, damit er sich wie ein Tagelöhner seines Tages freuen kann)
Liebe Gemeinde!
Manchmal wünschte ich mir, dass ich die Menschen, von denen die Bibel erzählt und denen wir ganz viele schöne und traurige, leicht verständliche und schwer verdauliche Worte, Sätze, Geschichten verdanken, treffen und mit ihnen reden könnte. Heute zum Beispiel. Wenn das gehen würde, würde ich heute sagen: „Danke, Hiob! Danke, dass du uns die Wahrheit sagst. Danke dass du uns ohne viele Schnörkel die Wahrheit darüber sagst, wer wir sind, wer DER Mensch eigentlich ist.“ Vielleicht denkt der eine oder die andere: „Herr Kling-Böhm, das können sie doch jetzt nicht ernst meinen! Der Glauben an Gott soll doch Menschen fröhlich machen. Und dann bedanken sie sich bei Hiob für eine so traurige und deprimierende Aussage, dass der Mensch viel Unruhe hat, verwelkt und vergänglich ist! Und das noch dazu an einem Tag, an dem wir vier junge Frauen in unserer Gemeinde begrüßen, die im Rahmen ihrer Ausbildung bei uns mitarbeiten wollen und durch ihre Arbeit Jugendlichen Freude am Leben mit Gott machen wollen. Da passt doch so was Deprimierendes nicht! Da muss es doch um Freude und Zukunft gehen, nicht darum, dass Leben vorbeigeht und irgendwie manchmal auch ziemlich traurig sein kann.“ Und gerade an so einem Tag würde ich Hiob gern noch mal sagen: „Danke, dass du um die Wahrheit nicht rumredest, sondern dass du deine unbequeme Wahrheit sagst.“ Denn um was geht’s denn eigentlich in unserem Glauben? Geht es darum, dass wir uns unser Leben schönreden und Ablenkung vom Alltag suchen, Zerstreuung, so wie man sie, je nach Lebensalter und Temperament, beim Zocken am Computer, beim Abtanzen in Clubs, im Fitnessstudio, in der Sauna, beim Marathonlauf oder einem Volksmusikabend mit Florian Silbereisen findet? Das hat alles sein Recht, ich will niemandem seine kleinen Fluchten madig machen. Die brauchen wir. Aber für mich geht es beim Glauben an Gott nicht darum,

Freitag, 2. November 2012

Ganz schön frei! - Reformationstag, gehalten am 4.11.12, Reihe IV

Text: Galater 5,1-6
Liebe Gemeinde!
Woran erkennt man eigentlich einen Christen? An der Taufe vielleicht? Na ja, erstens kann man die Taufe nicht sehen und zweitens waren Hitler und Stalin und viele andere Massenmörder und Verbrecher waren auch getauft. Also vielleicht eher am Verhalten? Vielleicht daran, dass er sich an die 10 Gebote hält? Aber erstens sind die Zehn Gebote keine christliche Erfindung. Die stehen im Alten Testament, die gelten für Juden ganz genauso und außerdem sind viele Einzelaussagen mittlerweile in die Gesetze der meisten demokratischen Länder so eingebaut, dass ich daran, dass jemand nicht tötet oder nicht stiehlt oder sich um seine altgewordenen Eltern sorgt, erkennen könnte, ob er überhaupt an Gott glaubt oder an welchen Gott er glaubt. Und zweitens hat Jesus die Zehn Gebote so radikal interpretiert, dass selbst Menschen, die es ganz ernst und ehrlich mit ihrem Glauben meinen, schwer fallen dürfte, das immer und fürs ihr ganzes Leben zu halten. Ehebruch ist nicht erst die Tat, sondern schon der Gedanke daran, sagt Jesus, genauso wie: töten fängt nicht mit der Tat an, sondern damit, dass ich einen anderen durch Worte herabsetze und ihm damit ein Stück Lebensrecht abspreche. Zumindest das Letzte ist bei mir spätestens dann der Fall, wenn ich im Auto sitze und mir einer die Vorfahrt nimmt. „Idiot“ ist dann noch eines der harmloseren Wörter, die mir manchmal rausrutschen. Bin ich deshalb kein Christ? Vielleicht erkennt man Christen am Gebet? Aber Jesus sagt auch, dass man erstens aus dem Beten keine Show machen soll, zweitens nicht zu viele Worte beim Beten machen soll und drittens nicht zuerst öffentlich, sondern für sich selbst in Ruhe mit Gott reden sollte. Dass jemand also die Hände faltet und das Vaterunser spricht oder in freien Worten laut seine Anliegen vor Gott bringt, ist also auch kein sicheres Kennzeichen. Vielleicht macht er ja nur eine Show, vielleicht sind seine wirklichen Gedanken gerade ganz woanders. Weder an Ketten mit Kreuzen noch am Fischaufkleber auf dem Auto, weder am Beruf noch an der Art zu beten kann ich einen Christen sicher erkennen. Das macht es gar nicht so einfach. Wir Menschen sind doch eigentlich eher so gepolt, dass wir gern klare Ansagen und Anweisungen hätten.

Freitag, 26. Oktober 2012

Lebt! Betet! Hofft! - 21. n. Tr., 28.10.2012, Reihe IV

Text: Jeremia 29,1.4-7.10-14
Liebe Gemeinde!
Lebt! Betet! Hofft! – Ich glaube, dass sich der Predigttext, den ich eben vorgelesen habe, auch mit diesen drei Wörtern zusammenfassen lässt. Sicher gibt’s noch ganz andere Möglichkeiten. Aber für mich ist es im Moment eben: Lebt! Betet! Hofft!
Lebt! Das ist das erste, dass der Prophet Jeremia, vielleicht auch sein Assistent Baruch, an die Menschen schreibt, die nach einem verlorenen Krieg aus Israel, ihrer Heimat , in die Fremde, nach Babylonien im heutigen Irak, weggeführt wurden. Lebt! Die Botschaft hätte auch ganz anders lauten können. Ätsch! Zum Beispiel. Jeremia hat vor dem Krieg gewarnt. Er wurde nicht nur nicht gehört, sondern ein paar von denjenigen, die jetzt aus der alten Heimat vertrieben wurden, haben sogar dafür gesorgt, dass er ins Gefängnis kam. Jeremia wurde nicht vertreiben, er durfte in der Heimat bleiben. Ätsch – ich hab’s euch doch gleich gesagt!

Freitag, 5. Oktober 2012

Mein rechter Platz ist leer, da setz ich mir den ... her - 18. So. n. Trinitatis, Reihe IV

Text: Jakobus 2,1-13 (die Zitate im Text sind aus der Basisbibel)
Liebe Gemeinde!
Stellen Sie sich doch mal vor, unsere Kirche wäre brechend voll, alle Plätze besetzt. Kommt zwar leider nicht jeden Sonntag vor, aber manchmal ist es ja so, letzten Sonntag zum Beispiel. Die Tür geht auf, einer der Alkoholiker vom Marktplatz kommt rein. Noch nicht total besoffen, es ist ja früher Sonntagmorgen. Aber er riecht von gestern noch unangenehm und seine Kleidung ist nicht gerade sauber. Trotzdem hat er das Bedürfnis, in den Gottesdienst zu kommen. Und dann geht die Tür noch mal auf und Herr Vaupel, unser Oberbürgermeister, kommt herein. Beide müssten stehen. Wem von beiden würde wohl zuerst ein Platz angeboten werden? Wenn ich zu mir selber ehrlich bin, würde ich eher Herrn Vaupel einen Platz anbieten als einem der Alkoholiker. – Jetzt ist der Oberbürgermeister nicht furchtbar reich und trägt auch nicht viele goldene Ringe und zumindest einer der Alkoholiker ist auch nicht arm an Geld. Aber ich fühle mich von dem Predigttext aus dem Jakobusbrief  doch ein bisschen ertappt. Vielleicht geht es ja auch anderen so.
Ich könnte es mir einfach machen mit dem Predigttext, gerade bei uns in unserer Gemeinde auf dem Richtsberg. Bei uns gibt es sehr viel mehr Menschen, die nicht viel haben, als wirklich reiche Menschen. Und da wir an normalen Sonntag auch leider keine Platzprobleme haben, könnte ich mit dem Finger auf andere zeigen und sagen: Ja, so ist es doch! Schaut euch die Familie Pohl an, die haben viel Geld und können in Marburg machen, was sie wollen, so soll das nicht sein, da müssen wir als Christen was unternehmen. Und wir auf dem Richtsberg oder im Waldtal haben zu wenig Geld, da müsste doch viel mehr gemacht werden! Und außerdem soll die Kirche nicht so viel Geld für teure Kirchenmusik ausgeben, lieber mehr direkt an Arme weitergeben! Es lebe das Vorurteil, es lebe das Klischee! Gut, wenn man mit dem Finger nach außen auf andere zeigen kann, sich behaglich zurücklehnen kann, auch wenn wir uns damit etwas vormachen.
Mir ist es zu einfach, wenn wir einfach mal schnell uns an Vorurteile dranhängen und sagen: „Die Reichen sind böse, und wenn sie was spenden, dann doch nur, um ihr Gewissen zu beruhigen oder sich als Wohltäter aufzuspielen!“ Weder sind alle Reichen böse Menschen noch arme Leute gute Menschen nur weil sie wenig haben. Man kann mit diesem Predigttext ganz prima ablenken und auf alle Reichen in der Welt schimpfen und ein Lied auf den Segen der Armut singen. Natürlich hat Gott, durch Jesus noch einmal sehr viel kräftiger, den Armen sein Reich zugesagt. Und natürlich betont Jesus

Danke für... - nichts? ...diesen guten Morgen?

Statt einer Predigt zum Erntedankfest "Sonntagsgedanken" für die Lokalpresse. Unser Erntedankgottesdienst wurde in diesem Jahr am 30.09. als Familiengottesdienst gefeiert und war so auf unsere Gemeinde und die lokalen Voraussetzungen ausgelegt, dass eine Veröffentlichung sinnlos gewesen wäre, deshalb also: Danke für ... nichts? ...diesen guten Morgen?
Ich habe mich über mich selbst erschrocken. Bei der Fortsetzung von „Danke für…“ kam mir als Pfarrer nicht zuerst die Gesangbuchzeile „… diesen guten Morgen“ in den Sinn. Stattdessen hat sich offenbar in meinem Hirn eine andere Fortsetzung eingebrannt: „…nichts!“. Eine Textzeile der zu Recht umstrittenen, mittlerweile nicht mehr existenten Band „Böhse Onkelz“. Klagen über mangelnde Dankbarkeit und zunehmenden Egoismus haben momentan Konjunktur. Im Sommer hat sogar das Magazin „Geo“ diesem Phänomen einen Titel gewidmet. Natürlich gehören solche Klagen seit Jahrhunderten zum guten Ton der Mitfühlenden. Wenn sich vor 2000 Jahren die Menschen gegenseitig in Nächstenliebe übertroffen hätten, hätte Jesus sich die Geschichte vom barmherzigen Samariter sparen können (für die Neugierigen zum Nachlesen: Lukas 10, 25-37). Mir ist nicht immer wohl dabei, wenn so viel auf die Gegenwartskultur geschimpft und alles nur in einem negativen Licht gesehen wird, als ein Ende der mitfühlenden Gesellschaft und einen Sieg des Egoismus. Früher war nicht einfach alles besser.
Ich kann im Moment ganz gut verstehen, dass Menschen im Gefühl leben: „Danke für NICHTS“ ! Neun Menschen der Geburtsjahrgänge 1960 und jünger habe ich in diesem Jahr beerdigen müssen. Alle hatten Angehörige – Kinder, Geschwister, Eltern. „Wofür soll ich eigentlich noch dankbar sein, wenn mir so ein wichtiger Mensch lange vor der Zeit genommen wurde?“ Mehr als nur einmal stand diese Frage im Raum, ausgesprochen oder im Hintergrund. Mir fällt es sehr schwer, Dankbarkeit zu verordnen. Ich bin dankbar dafür, dass ich eine Frau habe, mit der ich mein Leben teilen kann, einen Beruf, der mir meistens Freude bereitet, Menschen, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen. Aber wenn etwas davon fehlt? Wenn ich alleine aufstehen muss, im Wissen, dass da eine Lücke im Leben ist, die sich vielleicht nie schließen wird? Kann ich dann für den „guten Morgen“ danken? Ich kann nicht Dankbarkeit fordern. Ich kann, wenn es gut läuft, dabei helfen, die Augen wieder ein wenig weiter zu öffnen und zu entdecken, dass mir manches im Leben geschenkt wird, ich nicht um alles kämpfen muss und einfach da sein darf. Wer das Gefühl hat, um alles kämpfen zu müssen, wer das Gefühl hat, nicht willkommen zu sein, der wird sich sehr schwer damit tun, Dankbarkeit empfinden zu können. Erst recht nicht deshalb, weil der Kalender einem sagt, dass mal wieder „Erntedank“ ist und man Gott für alles danken müsse.
Trotzdem hilft mir diese Zeit, meine Augen für ein Leben, das nicht selbstverständlich ist, zu öffnen und dankbar zu werden. Nicht nur für diesen guten Morgen, sondern für jeden neuen Tag, weil ich in diesem Jahr ganz besonders gespürt habe, dass es auch für Menschen des Jahrgangs 1965 nicht selbstverständlich ist, neue Tage erleben zu können. Ich bin dankbar, dass mein Vater als Halbwaise und mein Schwiegervater als Flüchtlingskind meiner Frau und mir nicht die Schrecken des Lebens weitergegeben haben, sondern es uns ermöglicht haben, Gutes zu sehen. Ich bin dankbar, dass nach dem 2. Weltkrieg ehemalige Kriegsgegner die Hand zur Versöhnung gereicht haben und nicht Rache wollten, sondern es mir durch Aufbauhilfe, die dem Gedanken von „Wiedergutmachung“ absolut widersprochen hat und alles andere als selbstverständlich war,  ermöglichten, in relativem Wohlstand und relativer Sicherheit zu leben. Schuld wird nicht aufgerechnet, Leben erhält die Chance zum Neuanfang – praktisch gelebte christliche Verkündigung in Gestalt von Wirtschaftspolitik. Deshalb macht es mich traurig, wenn wir so tun, als sei unser Leben und Wohlstand unser Verdienst und wir Griechen und Spaniern die Fehler von Regierungen vorwerfen und perspektivlose junge Erwachsene und arme Rentner  in diesen Staaten als notwendiges Übel sogenannter Gerechtigkeit hinnehmen. Ich hoffe, dass Dankbarkeit großzügig macht – und dass erfahrene Großzügigkeit dankbar macht. Ich hoffe – nicht mehr und nicht weniger.

Freitag, 21. September 2012

Freiheit, sie gilt für Menschen, Völker Rassen - damit jeder sieht, wie frei wir sind! - 16. Sonntag n. Tr., Reihe IV, 23.09.2012

Die Überschrift ist mal wieder "inspiriert" (negativ gesagt: geklaut) - der 1. Teil von "Herr, deine Liebe", Strophe 3, der 2. Teil mal wieder von Casper, diesmal aus XOXO
Predigttext: Apostelgeschichte 12,1-17 (ich beschränke mich nicht, wie die Perikopenordnung, auf die Verse 1-11, weil gerade Vers 17 nochmal deutlich macht, worauf es hinauslaufen soll)

Liebe Gemeinde!
Gott befreit. Die frohe Botschaft der Freiheit der Kinder Gottes ist stärker als aller Hass von Machthabern, die ihre Herrschaft mit Gewalt aufrecht erhalten wollen. Die frohe Botschaft der Freiheit der Kinder Gottes ist stärker als die Sehnsucht der Mehrheiten, Minderheiten leiden zu sehen und sich auf Kosten der Minderheiten zu amüsieren. Gott befreit.
Es ist kein Märchen, das Melissa und Kristina eben vorgelesen haben, keine fromme Heldengeschichte, die nett, aber uralt ist und sich längst erledigt hat. Auch wenn die Geschichte von Petrus, der mit Hilfe eines Engels aus dem Gefängnis freikommt, manches an sich hat, was man als kritischer Mensch im 21. Jahrhundert nicht mehr wortwörtlich nehmen mag, auch wenn uns heutzutage manches konstruiert und doch sehr ideal erzählt vorkommt: der Kern der Geschichte ist heute noch genauso aktuell wir vor 2000 Jahren. Die Geschichte ist lang, aber ich möchte mal versuchen, das an ein paar Punkten deutlich zu machen.
Da ist erstens der leider immer noch aktuelle Punkt, dass Hass und Gewalt versuchen, die frohe Botschaft der Befreiung durch Jesus tot zu machen. Herodes versucht in der Geschichte, seine Herrschaft dadurch zu stabilisieren, dass er eine Minderheit als Opfer für die Vorurteile der Mehrheit leiden lässt. Bis heute gibt es Christen, die in Ländern wie Nordkorea, im Irak, im Norden des Sudan wegen ihres Glaubens verfolgt, eingesperrt und mit dem Tod bedroht werden. Es gibt bis heute viel zu viele Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt, gefangen und getötet werden. Und gerade deshalb müssen wir Christen aufmerksam und sensibel sein, wenn das umgekehrt geschieht. Wenn in Gesellschaften, in denen Christen nicht verfolgt werden, andere zum Bösen schlechthin gemacht werden. Bei den Nazis waren das die Juden – und bis heute gibt es in Deutschland viel zu viele Dummköpfe, die versuchen, Juden aus Deutschland rauszukriegen. Oder dumme Menschen, die Muslime pauschal als Terroristen oder Gefahr für die Gesellschaft verunglimpfen. Gerade aus unserer eigenen Geschichte heraus, gerade weil auch hier die Apostelgeschichte zeigt, dass christlicher Glaube ein Glaube der Freiheit ist und dass wir eine Frohbotschaft und keine Drohbotschaft weiterzugeben haben, müssen wir klar und deutlich für die eintreten, denen ihre Freiheit, zu glauben, ihre Freiheit, in Würde Mensch sein zu dürfen, abgesprochen werden soll.
Aus Angst und Hass werden Menschen verfolgt – aus Hass und noch mehr aus Angst sind die Mauern der sichtbaren und unsichtbaren Gefängnisse gebaut. Natürlich ist nicht jedes Gefängnis sinnlos. Menschen müssen vor Mord,

Sonntag, 16. September 2012

Gutes tun für Leib und Seele - 16.09.2012, 15. Sonntag n. Tr., Reihe IV

Text: Galater 5,25-6,10 (Basisbibel)
Liebe Gemeinde!
Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas Gutes zu tun. Es gibt so viele Möglichkeiten, Menschen, die im Leben schwer zu tragen haben, ein paar Sorgen um Dinge, die ihnen fehlen, abzunehmen. In vielen Schulen stehen im Moment die Tonnen der Aktion „Dein Pfand gegen Armut“. Schülerinnen und Schüler können da ihre Pfandflaschen einwerfen, das wird dann eingelöst und von dem Geld sollen Schuhe für Kinder aus armen Familien gekauft werden. An manchen Kassen kann man einfach die Centbeträge aus dem Wechselgeld für den Kinderschutzbund oder das Tierheim oder eine andere gute Sache spenden. Gespendet wird für Arme und Hungernde und Katstrophenopfer immer wieder. Und wenn das Geld bei den Eltern knapp ist, unterstützt vielleicht die Oma den Enkel bei der Klassenfahrt ein bisschen. Menschen kaufen etwas für ihre kranken oder alten Nachbarn ein, besuchen auch mal jemanden, der ganz allein ist. Schüler helfen sich bei Hausaufgaben, und sei es dadurch, dass sie sich abschreiben lassen, weil dem einen vielleicht zu Hause jede Möglichkeit fehlt, sich zu konzentrieren oder weil er zu Hause nur noch Stress hat und Schule da ganz in den Hintergrund gerät. Helft einander, Lasten zu tragen“ oder, wie Martin Luther es übersetzt: Einer trage des anderen Last – diese Aufforderung von Paulus in seinem Brief an die Galater wird, glaube ich, viel öfter wahrgemacht als wir das denken. Natürlich gibt es viel Egoismus, natürlich sind die Klagen über eine zunehmend Ich-bezogene Gesellschaft nicht falsch. Aber wenn man richtig hinschaut, gibt’s auch eine ganze Menge Gutes zu entdecken. Von der Hilfe bei den Hausaufgaben über die getragene Einkaufstasche und den Besuch bis hin zu kleinen und großen Spenden für gute und sinnvolle Aktionen. Und das Angenehme dabei: man verschafft sich offensichtlich durch gute Taten auch noch einen Stein im Brett beim lieben Gott. Helft einander, die Lasten zu tragen. So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus gegeben hat. In Konfer hatten wir letzten Dienstag besprochen, wie Jesus die Zehn Gebote zusammenfasst: Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst. Das passt ja gut dazu, also: alles halb so wild mit dem Gerede über Egoismus und alles gut bei uns oder wenigstens: fast alles, vieles.  
Ja, vieles ist wirklich gut, wenn man die Augen aufmacht und nicht zuerst immer oder fast nur auf das Schlechte sieht. Das ist so. Und trotzdem fühle ich mich ganz schön gepiesackt von dem, was Paulus vor langer Zeit an christliche Gemeinden in der heutigen Türkei schreibt. Nicht weil ich denke,

Freitag, 24. August 2012

"Vanity is the first sin" - Eitelkeit ist die Grundsünde - 13. So n. Tri., 02.09.13, Reihe IV

Die Predigt wurde im Rahmen eines Predigttausches auch am 12. So. n. Tr. gehalten
Text: Genesis (1. Mose) 4,1-16 (Einheitsübersetzung)

Liebe Gemeinde!
Mord in der Familie! Aktueller könnte in diesen Wochen kaum eine Geschichte aus der Bibel sein. Es waren Morde von Eltern an ihren Kindern, an ihren Ehepartnern, an sich selber, die in den letzten Wochen traurige Schlagzeilen gemacht haben. In manchen Fernsehberichten und auf manchen Fotos im Internet und in Zeitungen waren wieder mal Fotos von selbstgemachten Schildern mit der Frage „Warum?“ zu sehen. „Wie kann man das nur machen? Wie kann man nur die eigenen Kinder umbringen?“ Oder andere Menschen, zu denen man eine ganz besondere Vertrauensbeziehung hat. Ich frage mich das genauso wie Hunderttausende, vielleicht Millionen anderer auch. Morde in der Familie. Vielleicht kommen dem einen oder der anderen auch die sogenannten „Ehrenmorde“ wieder in den Sinn. Morde von Vätern, meistens aber von Brüdern, an ihren Schwestern oder Töchtern weil sie mit ihrer Art zu leben angeblich die Ehre der Familie verletzt haben. Wie kann man das nur machen? Alles nur eine Sache armer Irrer oder rückständiger Muslime? Ich habe keine gültige Antwort. Ich habe Fragen. Und ich habe einen Verdacht. Den Verdacht nämlich, dass das keine Frage rückständiger Muslime oder psychisch total kranker Menschen ist, kein unerklärliches Phänomen, sondern im Grunde eine Frage des Menschseins. Ich habe den Verdacht, dass es möglicherweise bei diesen unbegreiflichen Morden um etwas ganz Ähnliches geht wie in der Geschichte von Kains Brudermord an Abel. Da geht es für mich um gekränkte Eitelkeit. Gott nimmt Kains Opfer nicht wahr. Im Gegensatz zu dem seines Bruders Abel. Kains Eitelkeit, sein Gefühl, etwas gelten zu sollen und zu müssen, ist verletzt. Und dann geht die Geschichte so tragisch und dramatisch weiter. Bei einem Familienmord dieser Tage in Berlin ging es darum, dass der Mann nicht mit Schulden leben wollte und er auch seiner Familie keine materielle Armut zumuten wollte. Bei einem anderen Mord ging es darum, dass die Frau mit den Kindern den schlagenden Mann und Vater verließ, bei einem anderen darum, dass die Tochter älter wurde und sich von der alleinerziehenden Mutter löste. Bei den sogenannten Ehrenmorden einfach um das in den Augen der Männer beschädigte Ansehen. „Eigentlich steht mir doch mehr, was anderes zu. Eigentlich müsste ich doch besser dastehen. Ich will was sein, ich will was gelten, lieber will ich auf andere herabschauen als dass andere besser als ich sind.“ Gekränkte Eitelkeit. Vielleicht wie bei Kain, der nicht ertragen wollte, dass bei seinem Bruder was besser war. Er war doch der Ältere! Er hieß doch Kain, auf Deutsch etwa „Gewinn, Errungenschaft“ und nicht Abel, „Hauch, flüchtig, vergänglich“ wie sein kleiner Bruder! Gekränkte Eitelkeit. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie lebensnah, wie ehrlich, wie aktuell die Grunderzählungen über Gott und uns Menschen in der Bibel bis heute sind.
Natürlich führt gekränkte Eitelkeit nicht immer zum Mord. Ich bin selbst Bruder einer jüngeren Schwester und ich war zwar in meinem Stolz verletzt, dass ausgerechnet meine kleine Schwester beim Fußball vor mir gewählt wurde, dass sie zur Konfirmation mehr Geschenke bekam – aber meine Schwester lebt noch.

Freitag, 17. August 2012

Ich bin kein guter Christ - 11. Sonntag n. Trinitatis, 19.08.2012, Reihe IV

Text: Galater 2,16-21 (Zürcher)

Liebe Gemeinde!
„Wissen sie, Herr Kling-Böhm, ich bin kein guter Christ!“ – Immer wieder erzählen mir Menschen so etwas. Manche alten Menschen, die ich zu Geburtstagen oder im Altersheim besuche genauso wie manche jungen Eltern, von denen ich ein Kind taufen soll oder Paare, die heiraten möchten. Manchmal auch Konfirmanden oder Schülerinnen und Schüler. Unterschiedliches steck mit in der Aussage: „Ich finde es schön, dass sie mich besuchen, mir zum Geburtstag gratulieren, aber machen sie sich keine Hoffnung, dass ich deshalb jetzt immer in den Gottesdienst komme. Ich bin kein guter Christ, viel zu vieles in meinem Leben macht es mir schwer, einfach so an Gott zu glauben.“ „Wir finden es wichtig, dass unser Kind von Gott angenommen ist, aber wir leben ehrlich gesagt nicht so wie gute Christen leben sollten.“ „Das Standesamt allein ist uns zu wenig, aber wir haben in letzter Zeit nichts mit der Kirche zu tun gehabt!“ „Ich finde es zwar ganz okay, dass es Reli gibt und ich will konfirmiert werden, aber ich will auch meinen Spaß haben!“ Manchmal bekomme ich das so gesagt. Und wenn ich dann mal nachfrage, was  denn nach ihrer Meinung ein guter Christ wäre, dann bekomme ich  zu hören: „Ein guter Christ geht sehr regelmäßig in die Kirche. Ein guter Christ kennt sich richtig in der Bibel aus. Ein guter Christ hält sich an die 10 Gebote. Ein guter Christ zweifelt nicht, trinkt nicht, raucht nicht und ist im Wesentlichen ein asexuelles Wesen – außer zur Fortpflanzung. Ein guter Christ kennt viele Regeln und Gebote und hält sich an die.“ Ein ganz schön strammes Programm. Aber eines, das man klar nachvollziehen kann und nach dem man Menschen einteilen kann: gute Christen – schlechte Christen – gar keine Christen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir Menschen das ganz dringend brauchen: die Möglichkeit uns und damit auch andere in Kästchen einzuteilen. In drinnen und draußen, in die, die dazugehören und okay sind und die, die Außenseiter und nicht so toll sind. Funktioniert nicht nur bei der Einteilung in gute und schlechte Christen, sondern auch in gute und schlechte Eltern – „Oh, das Kind kriegt kein Bio-Gemüse? – Dann können die Eltern aber nicht so toll sein!“ In gute und schlechte Ehen, in drinnen und draußen bei vielen unterschiedlichen Gruppen und Grüppchen. Ein guter Christ macht, gute Eltern machen, ein guter Lehrer macht,  eine gute Ehefrau macht, ein guter Punker macht, ein guter Skater macht, ein cooler Zocker macht und so weiter und so weiter. Wir sehen von außen, an welche Regeln sich jemand scheinbar hält und teilen ein und urteilen.
Vielleicht können wir nicht anders. Vielleicht lohnt es sich aber öfter mal, einen anderen Ansatz zu probieren. Das ist keine Frage der heutigen Zeit, sondern das ist etwas, was wahrscheinlich schon immer in Menschen drin ist, seit wir denken können und uns in Beziehungen zusammenfinden. Drinnen und draußen, gut und schlecht. Und deshalb beschäftigt sich zum Beispiel auch Paulus in der Bibel, in seinen Briefen, mit solchen Fragen. In seinem Brief an die Galater, das sind die Christen, die in der Mitte der heutigen Türkei leben, da nimmt er Stellung zu der Frage, ob das Einhalten von Regeln und Gesetzen einen Menschen zu einem guten Christen machen. Petrus und ein paar andere haben nämlich Wert darauf gelegt, dass nur die wirklich gute Christen sind, die sich auch an die Gesetze des Alten Testaments halten und zusätzlich zum Christsein auch noch Juden werden, wenn sie es nicht schon längst waren. Petrus ging soweit, dass er dann nicht mal mehr mit denen gegessen hat, die sich als Christen nicht an die jüdischen Regeln und Gesetze gehalten haben. Paulus, der ja selber ein Jude war, schreibt dann unter anderem dazu:
Lesen: Galater 2,16-21
Zugegeben, das sind heute nicht mehr unsere Probleme. Aber ich glaube, dass wir für das Leben als Christen genauso wie für das Zusammenleben überhaupt eine Menge von Paulus lernen können, unabhängig von dem Glauben, den ein Mensch hat. Es hört sich ja erst einmal sehr merkwürdig an, wenn Paulus schreibt: Gerechtigkeit kommt nicht aus dem Gesetz und wenn sich ein Mensch an das Gesetz hält, dann wird er dadurch nicht gerecht. Paulus meint ja hier erst einmal das Gesetz Gottes, die Gebote aus der Bibel. Was er sagen will ist, glaube ich, nicht: haltet euch nicht an Regeln und macht was ihr wollt. Was er sagen will, ist eher: Du kannst Gott nicht durch

Samstag, 11. August 2012

Alles gut?! - 10. Sonntag n. Tr. (Israelsonntag), 12.08.2012, Reihe IV

Text: Jesaja 62,6-12
Liebe Gemeinde!


Am Ende wird alles gut! Genau das verspricht hier der Prophet, der Jesaja genannt wird, den Menschen, denen er lange vor unserer Zeit das gesagt hat, was ich eben vorgelesen habe. Die Stadt, die im Krieg zumindest teilweise zerstört wurde, wird wieder aufgebaut. Sie wird so etwas wie der Mittelpunkt der Welt, ein Anziehungspunkt für viele, viele Menschen, die sehen können, wie gut das Leben sein kann. Die Menschen in der Stadt werden in Frieden leben. Es gibt keine Ausbeutung mehr. Jeder wird mit seiner eigenen Arbeit genug zum Leben verdienen. Die Menschen in der Stadt werden erlöst sein. Die Stadt wird ein Vorbild für andere sein, alle werden die Stadt suchen wollen, weil man dort den Frieden mit Gott sehen und spüren kann. Am Ende wird alles gut! Aber wann wird das sein?

Ein Happy-End, das gibt’s ja mittlerweile höchstens noch in Filmen, die an der Grenze zum Kitsch stehen oder in wenigen Büchern. Wenn es im Film überhaupt ein Happy-End gibt, ahnt man doch meistens schon, dass das nur eine Durchgangsstation zu neuen Schwierigkeiten ist, eine kurze Pause, bevor in Teil 2, Teil 3 und Teil 4 neue große und kleine Katastrophen und Unglücke hereinbrechen. Am Ende wir eben nicht alles gut, zumindest nicht auf Dauer. Das lehren uns nicht nur Filme. Auch im wirklich gelebten Leben gibt es nicht für alles ein glückliches Ende. Auch Menschen, die ganz fest auf Gott vertrauen, werden krank, sterben manchmal einsam und mit Schmerzen. Auch Ehen von Menschen, die auf Gott vertrauen, können scheitern und nicht alle, die an Gott glauben, finden einen tollen Beruf oder sind richtig gute Schüler.

Am Ende wird alles gut?! – Da fällt einem mehr als ein Grund ein, vorsichtig zu sein und vielleicht auch zu den-ken: An dem Punkt hat sich der Prophet in der Bibel aber doch so ein bisschen geirrt. Vor allem dann, wenn man sich klar macht, welche Stadt es ist, die der Prophet da beschreibt und von der er so ein schönes Bild in der Zu-kunft entwirft. Es ist eine Stadt, die es heute noch gibt: Jerusalem. Heilige Stadt für Juden, Christen und Musli-me. Und seit Jahrtausenden eine Stadt, die auch für die Zerrissenheit der Menschen steht. Mehrfach wurden die Bewohner vertrieben und mit ihnen sollte der Glauben an Gott aus der Stadt getrieben werden. Im Jahr 70 wurde von den Römern der Tempel zerstört und etwas später wurde Juden verboten, die Stadt überhaupt zu betreten. Auch nach dem Ende der römischen Herrschaft war die Stadt immer wieder umkämpft, Zentrum grausamer Krie-ge, vor allem Muslime und Christen haben sich da durch Gewalt hervorgetan. Und heute? Bestenfalls herrscht in

Donnerstag, 2. August 2012

Vorbilder statt Abziehbilder - 9. Sonntag n. Trinitatis, Reihe IV

Text: Jeremia 1,4-10 (wird im Verlauf der Predigt gelesen)


Brauchen Menschen, brauchen wir Vorbilder? Ich finde, dass sich die Frage nicht so leicht beantworten lässt. In meinem Urlaub vor ein paar Wochen habe ich, passend zu den jetzt stattfindenden olympischen Spielen, zwei interessante Filme gesehen. Der eine berichtete von einem Jungen aus Somalia, dessen Vater vor seinen Augen getötet wurde, als er noch klein war. Als kleines Kind wurde er entführt, als Kindersoldat erlebte er im Grundschulalter unvorstellbare Grausamkeiten. In einem Flüchtlingslager lebte er dann mehrere Jahre als Jugendlicher und wurde schließlich von einer amerikanischen Familie adoptiert. In den USA war er zunächst Außenseiter, aber er lief gern und gut. So gut, dass er vor vier Jahren bei der Eröffnung der olympischen Spiele in Peking die amerikanische Fahne bei der Eröffnungsfeier tragen durfte. Der andere Film berichtete von einer jungen Frau, für deren Figur „dick“ noch eine freundliche Umschreibung war. Aber sie ist unglaublich sportlich, sehr gelenkig, spielt als erste Frau in einer College- Männermannschaft Football, was bei uns in etwa der 2. Fußballbundesliga entspricht, und nimmt für die USA in diesem Jahr als Gewichtheberin an den olympischen Spielen teil. Auf ihre Figur angesprochen, antwortete sie in etwa: „Wenn andere denken, ich wäre deshalb behindert oder blöd, sollen sie erst mal das leisten, was ich kann.“ Ich denke schon, dass die beiden auf ihre unterschiedliche Art Vorbilder sein können. Nicht, weil jeder sportlich sein und an olympischen Spielen teilnehmen muss, sondern weil sie etwas anderes zeigen. Der junge Mann könnte andere inspirieren, die als Kinder ebenfalls sehr Schlimmes erlebt haben, die Hoffnung zu behalten, dass nicht das ganze Leben zerstört sein muss und dass man einen Weg finden kann. Die junge Frau könnte Menschen inspirieren, deren Aussehen ebenfalls nicht den Maßstäben der Werbung, von Filmen und Modeindustrie genügt, jenseits aller Vorurteile und Verurteilungen einen eigenen Weg zu finden.
Wenn Vorbilder dazu inspirieren, eigene Wege zu gehen, dann ist das was Gutes. Wenn Vorbilder aber dazu führen, das Eigene zu vergessen und man nur noch so werden will wie sie, dann werden sie zu Idolen, Götzen, nehmen gefangen, lenken von den eigenen Möglichkeiten ab – und das ist nicht gut.
Wenn jemand aber sagt:“ Ich bin ich, ich brauche keine Vorbilder“ – dann ist das auch nicht unbedingt gut. Denn „Ich bin ich“ ist zwar an sich richtig, kann aber zwei Gefahren haben: einmal die bequeme Variante: „Ich bin halt so, ich kann und will mich nicht ändern und will auch aus meinen Fehlern nicht lernen“. Zum anderen aber auch die Variante: „Ich bin ich, ich interessiere mich nicht für die anderen, ich schau nicht nach rechts und links, zieh mein Ding durch, notfalls mit dem Kopf durch die Wand!“ Rücksichtsloser Egoismus – genauso gefährlich wie totale Bequemlichkeit oder blindes Folgen und Aufgeben der eigenen Persönlichkeit. Inspiration für den eigenen Weg, das ist etwas richtig Gutes. Ziemlich langer Vorspann, ich weiß. Aber ich  möchte heute mit Euch und Ihnen über den Predigttext mal unter der Überschrift „Vorbilder“ nachdenken. Der Predigttext steht im Buch Jeremia im 1. Kapitel und erzählt, wie Jeremia überhaupt Prophet wurde.
Lesen: Jer 1,4-10
Ist Jeremia ein Vorbild für Menschen, die den Glauben an Gott leben? Warum sollten wir uns im Jahr 2012 sonst mit einem Mann beschäftigen, der ungefähr 600 Jahre vor Christus gelebt hat? Jeremia ist einer, der Gottes Wahrheit den Menschen in seinem Land sagt. Und, so erzählt es ja hier der Anfang, er kann sich auch ziemlich sicher sein, dass das, was er sagt, nichts ist, was er sich ausgedacht hat, sondern wirklich von Gott kommt. Gott sucht sich einen Menschen dafür aus, der von sich sagt „Ich bin zu jung!“ Das muss sich nicht unbedingt nur auf das Lebensalter beziehen. Mitgemeint war auch: ich bin nicht besonders gebildet. Ich komme nicht aus einer Familie, die besonders angesehen ist. Ich bin nicht besonders reich und habe wenig Einfluss auf andere. So einen sucht Gott sich aus. Er soll die Wahrheit sagen, die meistens ziemlich unbequem ist.  Ihm wird versprochen, dass Gott wirklich bei ihm ist und dass diese Wahrheit -  und deshalb auch Jeremia - letztlich mächtiger ist als alle Königreiche und Staaten. Jeremia hat die Wahrheit Gottes gesagt, auch die unbequeme. Und er hat erlebt, dass diese Wahrheit ziemlich einsam machen kann, dass ihm nur wenige glaubten und zuhören wollten, dass bis auf wenige Ausnahmen Freunde sich abwandten. Er hat an seinem Auftrag, an der Wahrheit gelitten, aber er hat Gott und die Wahrheit nicht verraten. Was am Ende aus ihm geworden ist, wissen wir nicht. Seine Geschichte endet im Dunkel der Zeit.
Jeremia, ein Vorbild? Ein Vorbild für Christen in Marburg 2012?

Dienstag, 31. Juli 2012

MENSCHENWÜRDE - gesundheitspolitisches Montagsforum

Die folgende Ansprache wurde am 30.07.12 beim gesundheitspolitischen Montagsforum in der Elisabethkirche Marburg gehalten. Sie ergänzte ein "Wort zur Sache" der Betreibsratsvorsitzenden des Uniklinikums Marburg

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,


und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?

Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,

mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.

Der Mensch, gottähnlich, da kommen nicht nur positive Gedanken hoch. Manchen ist das vielleicht zu viel. Da kommen Bilder von Menschen hoch, die sich, beinahe gottgleich, an die Spitze setzen und im Namen Gottes, im Namen der Wissenschaft, im Namen ihrer Geburtsrechte oder was auch immer unter Berufung auf eine angeblich göttliche Schöpfungsordnung die Welt, die Natur, andere Menschen ausbeuten. Der Mensch, wenig niedriger als Gott – man mag skeptisch sein angesichts dessen, wozu Menschen fähig sind, angesichts der Fehlbarkeit auch von Menschen guten und besten Willens. Skepsis hat jede Menge gute Gründe.

Aber für mich gibt es gute Gründe, in das Staunen des Psalmbeters vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden einzustimmen. „Was ist ausgerechnet der Mensch, diese unvollkommene Ansammlung von Zellen, dass Gott sie mit so vielen Möglichkeiten, so vielen Freiheiten, so viel Würde ausgestattet hat und ihr mit so viel Liebe begegnet?“ „Was ist der Mensch?“ – Da fängt für mich das wunderbare an dieser Betrachtung schon an. Es wird nicht unterschieden zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, zwischen Wohlhabenden und Armen, zwischen Gebildeten und ganz einfachen, zwischen Kranken und Gesunden. Was ist der Mensch? Die Professorin und der Hausmeister, der Arzt und die Reinigungskraft, die Krankenschwester und der Vorstandsvorsitzende, der Pfarrer und die von Gott Enttäuschte, der Olympiasieger und die bettlägerige Seniorin, die Bundeskanzlerin und der Patient im PKH, die Betriebsrätin und der phlegmatische, vom Leben Enttäuschte, der Mensch eben. In der Vielfalt seiner Daseinsmöglichkeiten. Dem Menschen wird von Gott Würde zugesprochen. Die Würde der Beziehungsfähigkeit, die Würde der Freiheit, auch wenn sie als einzelner Mensch immer wieder Grenzen hat, die Würde der LiebensWÜRDIGKEIT. Dem Menschen, nicht nur dem gesunden, gebildeten, wohlhabenden Menschen, nicht nur den sogenannten Stützen der Gesellschaft.

Diese grundsätzliche, unaufhebbare Würde des Menschen ist es, die Fragen an die Systeme stellt, in denen wir leben und arbeiten. An unser Gesundheitssystem, an Kliniken, an Universitäten, an Kommunen, Staaten, Kirchen, Schulen – Ist die Art und Weise, wie wir die Systeme gestalten, in denen wir leben, hilfreich, um möglichst allen Menschen dabei zu helfen, die Würde, die ihnen zu eigen ist, zu finden, zu behalten, wiederzuentdecken? Oder behindert oder verhindert das System dieses? Jedes System, das von Menschen erdacht und gestaltet wird, ist daran zu messen, ob es dabei hilft, Menschen in Würde zu leben.

Dazu gehört ganz konkret: sehe ich im anderen den Menschen oder einen Kostenfaktor und eine Möglichkeit, Gewinne zu machen und Einnahmen zu generieren? Ökonomie ist Teil des Menschseins, aber wo die ökonomische Verwertbarkeit des Menschen im Vordergrund steht, läuft ein System aus dem Ruder. Das gilt für Gesundheitssysteme genauso wie für Bildungssysteme, für Sozialsysteme ebenso wie für Kirchen.

Zur Würde gehört für mich auch der verantwortungsvolle Umgang mit Sprache. Wie rede ich mit Menschen, wie rede ich von und über Menschen? Mitarbeiter oder Humankapital? Nur eine von ganz, ganz vielen Möglichkeiten, bis in den Alltag von jedem und jeder von uns. Zur Würde gehört für mich auch, das Anderssein und die Freiheit des Anderen zu respektieren und damit auch zu respektieren, dass ein anderer Meinung sein kann. Zur Würde gehört auch, angstfrei anderer Meinung sein zu dürfen.

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,

und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?

Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,

mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.

Dort, wo wir einander helfen und ermöglichen, diese Würde, diese Ehre und Herrlichkeit zu sehen – im eigenen Leben genauso wie im Leben des anderen, dort wird die Welt ein wenig menschlicher. Weil etwas von dem wahr wird, zu was wir bestimmt sind – nicht dazu, egoistisch-überhebliche Halb- oder Dreiviertelgötter zu sein, sondern Menschen, die in ihrer Gesamtheit als Menschheit von Gott begabt und geliebt und mit würde versehen sind.

Donnerstag, 26. Juli 2012

Von Huren und Freiheit - 8. Sonntag n. Trinitatis, 29.07.12, Reihe IV

Text: 1. Korinther 6,12-20
Liebe Gemeinde!


Also, zuerst einmal: liebe Männer! Geht nicht zu Huren, zu Prostituierten, ihr habt ja gehört, was in der Bibel steht! Und dann noch: liebe Frauen und Mädchen: Werdet nicht zu Huren, zu Prostituierten, ihr habt ja gehört, was Paulus da so in seinem Brief an die Leute in Korinth schreibt!

Amen.

Hier könnte die Predigt eigentlich aufhören, wenn man das, was Paulus vor fast zweitausend Jahren uns völlig fremden Menschen im heutigen Griechenland geschrieben hat, einfach so liest und wortwörtlich nimmt. Wenig überraschend, dass in der Kirche gesagt wird: Hurerei ist nicht unser Ding! Und wahrscheinlich doch zu Recht werden die allermeisten, die heute in Deutschland in Gottesdienste gehen und sich diese Lesung aus der Bibel anhören, zu Recht sagen: „Das betrifft mich nicht so wirklich!“ Wieso sollte ich also mehr zu diesem Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief sagen als „Gut, wenn das bei euch und ihnen nicht so ist, passt auf, dass es nicht anders wird?“

Für mich hat das mehrere Gründe. Der banalste Grund ist, dass ich schließlich auch dafür bezahlt werde, Predigten zu halten und mir ein paar Gedanken zu machen und nicht zu schnell faul zu werden und mit bequemen kurzen Aussagen mich aus der Affäre zu ziehen. Aber das ist das Unbedeutendste. Wichtiger ist mir selber, dass wir uns als Christen auch mit Dingen beschäftigen, die wir gern von uns schieben. Jesus ist schließlich auch nicht vor den unbequemen Dingen davongelaufen. Er hat sich, das ist ganz gut überliefert, auch mit Huren unterhalten und hat ihnen Men-schenwürde zukommen lassen. Wir könnten natürlich sagen: „Das ist ein Bääh-Thema, mit dem wollen wir uns nicht beschäftigen!“ Aber das ist, glaube ich, nicht im Sinne von Jesus. Prostitution hat es immer schon gegeben und wird es immer geben, in christlichen und muslimischen und jüdischen Gesellschaften, in Gesellschaften, denen Religion egal ist, in reichen und armen Ländern. Daran ändert auch eine moralische oder religiöse Verurteilung nichts. Oft genug bleibt das moralische Urteil an den Frauen hängen: „Das sind schlechte Frauen, die sowas tun, mit denen gibt man sich im Alltag nicht ab!“ So denkt man oft genug, leise oder laut. Ich glaube aber, dass es im Sinne Jesu eher andersherum eine Frage nach den Männern sein sollte, die Nöte von Frauen ausnutzen: die Not, ein Kind oder eine Familie durchbringen zu müssen und keinen anderen Weg zu sehen, die Not, sich Drogen beschaffen zu müssen oder die Not, verraten und verkauft zu werden und unter Vorspiegelung falscher Versprechungen ihrer Rechte und ihrer Würde beraubt zu werden. Und da sind wir auch bei Paulus und bei dem Abschnitt, den ich eben vorgelesen habe. Und bei meinem wichtigsten Grund, doch noch weiter zu predigen. Paulus hält sich nicht bei moralischen Urteilen über die Frauen, Huren, Prostituierte auf, sondern er redet eigentlich zu den Männern, die diese Dienste in Anspruch nehmen. Es macht was mit euch,

Freitag, 29. Juni 2012

Freiheit kann man nicht eingrenzen, Freiheit muss man ausatmen! - 4. Sonntag n. Tr., 1.7.2012, Reihe IV

Text: 1. Petrus 3,8-17 (Übersetzung: Zürcher Bibel)
Die Überschrift ist ein Zitat von Curse aus dem Lied "Freiheit"

Liebe Gemeinde!


Es ist wieder mal Ferienzeit. Viele werden sich aufmachen, in andere Städte, Länder, an Meere und in die Berge fahren und manche werden ein Gefühl erleben, dass sich kaum beschreiben lässt: die Luft, die man einatmet, scheint ganz anders zu riechen, ganz anders zu schmecken, wenn man sie einatmet. Ein Gefühl von Freiheit, Sorglosigkeit, Erholung, klarer, würziger Luft – am liebsten möchte man gar nicht mehr ausatmen, sondern die Luft tief in sich verschließen, mit nach Hause nehmen. Natürlich ist das biologischer Unsinn. Das funktioniert nicht. Man würde eingehen, sterben, wenn man nicht mehr ausatmet, wenn man nur noch einatmet. Biologischer Unsinn, wie gesagt. Aber vom Gefühl her kennen das, denke ich, einige ganz gut: das Gute und Schöne, das ich erlebe, das mir geschenkt wird, in sich aufsaugen, einatmen und nicht mehr hergeben zu wollen. Aber ich glaube, dass hier das Gleiche wie für das Atmen gilt: Wer nicht wieder ausatmet, stirbt. Wer das Schöne, das er erfährt, festhalten will, wer das Gute, dass ihm geschenkt wird, nur für sich selbst behalten will, stirbt vielleicht nicht biologisch, aber die Seele stirbt.

Freiheit kann man nicht eingrenzen, Freiheit muss man ausatmen! Am letzten Mittwoch habe ich diesen Satz, der leider nicht von mir stammt, zum ersten Mal gehört. Kurz zuvor hatte ich mir den Predigttext für heute zum ersten Mal angeschaut – und ich fand sofort, dass dieser Satz auf den Punkt bringt, was da in der Bibel gesagt wird. Freiheit kann man nicht eingrenzen, Freiheit muss man ausatmen! Und was für Freiheit gilt, gilt meiner Meinung nach für Glauben, für Hoffnung und für Liebe ganz genauso. Ich kann das nicht eingrenzen, nicht für mich behalten wollen – dann wird es sinnlos, wertlos, stirbt. Ich muss es ausatmen, weitergeben, weiterschenken. Als Christ zu leben heißt, auszuatmen. Ein Satz aus dem Predigttext, der das für mich auf den Punkt bringt, ist der: Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht üble Nachrede mit übler Nachrede. Im Gegenteil: Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben. Segnen, das Gute, das Gott uns schenkt, weiterzugeben, das ist unsere Aufgabe. Nicht aufzurechnen, zu vergelten, und Bösen Böses zu tun. Segen weiterschenken. Das ist es. Vielleicht bin ich davon auch im Moment so begeistert, weil ich ein für mich unvergessliches Erlebnis damit vor ein paar Tagen hatte. Als ich mit meiner 10. Klasse über den Verabschiedungsgottesdienst für die Absolventen der Richtsberggesamtschule und seine Gestaltung gesprochen habe, hat eine Schülerin, von der ich das überhaupt nicht erwartet habe, weil sie sich in den vier Jahren, die wir uns durch den Reliunterricht kannten, immer kritisch zum Glauben geäußert hat, gesagt: „Ich will da von ihnen gesegnet werden!“ Meine Antwort war „Klar, gern! Aber dann möchte ich auch von dir gesegnet werden!“ „Das kann ich doch gar nicht“

Sonntag, 24. Juni 2012

Trösten - Johannistag (3.n.Tr.), 24.06.2012, Reihe IV

Text: Jesaja 40,1-8
Liebe Gemeinde!


Wie viel Trost werden wohl in den nächsten Tagen Schülerinnen und Schüler brauchen? Es gibt mal wieder Zeugnisse. Und da bekommt man es schwarz auf weiß: gut in Mathe! Oder eben vielleicht doch nur ausreichend oder sogar mangelhaft. Sehr gut in Deutsch oder doch nur gerade so ausreichend oder sogar ungenügend. Du darfst weitermachen oder du wirst nicht versetzt, du genügst den Ansprüchen nicht. Und dann mache ich gerade bei den Schülern im 9. und 10. Schuljahr, die schon an Bewerbungen oder einen Schulwechsel denken müssen, die Erfahrung, dass sie unbedingt wissen wollen, wie ich ihr Arbeits- und Sozialverhalten beurteile, die Kopfnoten. Gut, sehr gut – oder doch nur ausreichend oder mangelhaft? Welcher Betrieb wird einen schon in eine Ausbildung über-nehmen, wenn einem bescheinigt wird, dass das Arbeitsver-halten gerade mal ausreichend war oder das Sozialverhalten nicht gut ist? Und dann kommt bei manchen noch das Gefühl dazu, ungerecht beurteilt worden zu sein. Nur weil man Widerworte gegeben hat, wird man schlechter beurteilt. Nur weil man MAAAAAAAAL die Hausaufgaben nicht hatte, bekommt man schlechtere Noten. Ob gerecht oder ungerecht: Manchmal braucht man sicher ganz schön viel Trost, wenn einem ein Zeugnis gegeben wird. Und wieviel Trost werden manche Eltern in diesen Tagen brauchen? Eltern, die Pläne und Hoffnungen für ihre Kinder und mit ihnen hatten, die merken, wie die Kinder leiden und nicht richtig wissen, wie sie ihnen helfen sollen. Eltern, die vielleicht auch merken: meinen Kindern scheint das völlig egal zu sein. Die machen sich nichts aus den Noten, denen ist ihre Zukunft egal, Hauptsache Spaß, was sollen wir da noch machen? Eltern, die sich schuldig fühlen, weil sie ratlos sind? Wie viel Trost wird nötig sein in der nächsten Zeit? Für Kinder und Eltern, für manche von uns in vielleicht ganz anderen Situationen, in denen wir merken: unser Leben würde als Note nicht gerade eine „1“ kriegen. Weil wir selber Sachen falsch gemacht haben, weil wir merken, dass unser Glauben, unsere Hoffnung, unsere Liebe an deutliche Grenzen gestoßen sind, weil uns das Leben mit seiner Härte eingeholt hat und Krankheit oder Tod, Arbeitslosigkeit oder Geldmangel einfach schwer zu ertragen sind?

„Tröstet, tröstet mein Volk“ – der Anfang von dem Predigt-text für heute scheint genau so gemacht worden zu sein, dass er in diese Zeugnistage hinein passt. Natürlich ist er das nicht. Die ersten, die das gehört haben, waren keine traurigen Schüler oder verzweifelten Eltern. Aber es waren Menschen, die merkten: das Zeugnis über mein Leben fällt eigentlich nicht besonders aus – und vielleicht hat das auch was mit mir zu tun und vielleicht hat das auch was damit zu tun, dass Gott eigentlich gute Wege zeigen wollte, die wir als Menschen nicht gegangen sind. Die Menschen, die als erste diese Trostbotschaft hörten, waren Menschen aus Israel, die vor gut 2500 Jahren nach einem verlorenen Krieg aus ihrer Heimat vertreiben wurden und sich im Land des Siegers, ungefähr im heutigen Irak neu ansiedeln mussten. Es ging ihnen nicht furchtbar schlecht, man darf sich das nicht als eine Art KZ vorstellen.

Sonntag, 17. Juni 2012

Ziel: Liebe! - 2. Sonntag nach Trinitatis, 17.06.202, Reihe IV

Text: 1. Korinther 14,1-5+23-26 (NGÜ)
Liebe Gemeinde!


Menschen werfen vor Begeisterung die Arme in die Luft, rufen unverständliches Zeug, sind total aus dem Häuschen. Wer nichts damit zu tun hat glaubt, in einen Haufen Irrer geraten zu sein. Als ich selber ein paar Jährchen jünger war, möchte ich nicht wissen, was Leute gedacht haben, die mich bei einem Open-Air-Konzert gesehen haben, heute kann sowas vielleicht mal in Frankfurt im Waldstadion passieren. Und vielleicht passiert das ja mir oder anderen heute Abend um 22.30 Uhr hoffentlich, nach einem Sieg von Deutschland gegen Dänemark oder in 14 Tagen nach einem 4:3 nach Verlängerung im Endspiel der EM für Deutschland gegen Holland, die vorher die Spanier rausgeworfen haben. Begeisterung treibt Menschen dazu, manchmal nach außen ziemlich merkwürdige Dinge zu tun. Bei uns bringt man das mit Konzerten oder Sport in Verbindung, eigentlich nicht mit Kirche. In der Kirche flippt keiner begeistert aus. In Deutschland zumindest eher nicht. In anderen Kirchen, in Nord- und Südamerika oder in Afrika, findet man das öfter mal. Und vielleicht hat der eine oder die andere hier das schon mal persönlich erlebt oder zumindest im Fernsehen gesehen. Bilder von Menschen in Gottesdiensten, die begeistert die Hände nach oben reißen, die anfangen zu tanzen zu rufen, keine richtigen Sätze, sondern die so begeistert sind, dass es keine richtigen Worte für das gibt, was Gottes Geist in ihnen und durch sie macht. Ich glaube, hier im Got-tesdienst wären die allermeisten ziemlich verwundert, wenn jemand anfangen würde, so zu beten.

Das ist eigentlich nichts anderes als die „von Gott einge-gebene Sprache“, von der Paulus redet, wörtlich schreibt er vom „Reden in Zungen“. Manche finden es schade, dass es das bei uns so selten gibt. Andere sind sicher ganz froh. Vom Glauben an Gott begeistert zu sein, ist etwas ganz tolles. Und ich bin froh, dass viele Menschen auf so unterschiedliche Art hier bei uns begeistert sind. Ich denke an

Sonntag, 3. Juni 2012

Gott macht auch aus Schlechtem Gutes - Trinitatis, 03.06.12

Statt Reihe IV habe ich Reihe V gewählt, weil in diesem Gottesdienst die neuen Konfis begrüßt wurden und eine frisch Konfirmierte mit mir gepredigt hat. Ihr fiel zum Segen einfach mehr ein, deshalb de Text:
4. Mose 6,22-27
UKB: Liebe Gemeinde!

Nein, der Gottesdienst ist noch nicht vorbei, auch wenn gerade der Segen vorgelesen wurde, der am Ende von jedem Gottesdienst hier bei uns und in den meisten anderen Kirchen gesagt wird. Es ist eigentlich Zufall, dass für diesen Sonntag, an dem bei uns in der Thomaskirche die neuen Konfis begrüßt werden, der Segen als Bibeltext für die Predigt „dran“ ist. Aber ich finde es ganz passend, gerade an so einem Tag sich mal Gedanken darüber zu machen, was für viele, die immer kommen, ganz normal und selbstverständlich ist. Für viele Konfis ist es nicht so. Am Dienstag haben wir ja auch mal über den Gottesdienst gesprochen und was so dazugehört. Der Segen wurde erst relativ spät genannt und als dann markiert werden sollte, was einem gut gefällt oder wichtig ist, da waren es nur ganz wenige, die das markiert haben. Gut, dass ich heute eine Expertin habe, die mit mir predigt. Milena, du bist ja erst seit fünf Wochen konfirmiert und kannst dich bestimmt auch noch gut an die Zeit erinnern, als du mit Konfer angefangen hast. Wie geht’s dir denn mit dem Segen?

Milena: Ich kannte das vorher auch nicht so wirklich, weil ich vor Konfer nicht oft im Gottesdienst war. Aber jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass es auch anders sein könnte. Ich finde es richtig gut, dass der Segen am Ende da ist. Da kriege ich ein richtig gutes Gefühl. Ich weiß dann, dass Gott auch für mich da ist. „Der Herr segne dich und behüte dich“ – das fasst noch mal alles zusammen, was wichtig ist. So vor dem Rausgehen. Gott ist nicht nur in der Kirche bei mir, sondern auch wenn ich rausgehe. Beim Hiphop oder in der Schule oder wenn ich mit meinen Freunden oder meiner Familie zusammen bin. Gott ist da und passt auf mich auf.

UKB: Ich finde es schön, dass du das so siehst. Ich hab mich auch richtig gefreut, als du vor ein paar Wochen gesagt hast, dass du mal mit mir predigen willst und auch was von deinem Glauben erzählen willst. Das ist ja überhaupt nicht selbstverständlich. Bist du da eigentlich von allein drauf gekommen? Hast du plötzlich irgendwie angefangen, an Gott zu glauben und den Segen für dich so wichtig zu nehmen?

Milena: Für mich ist der Glauben an Gott was ganz normales geworden. Aber viele von den Leuten aus meiner Klasse und von den anderen, mit denen ich befreundet bin, sehen das auch ganz anders.

Freitag, 25. Mai 2012

Ihr seid nicht normal! - Pfingstsonntag, 27.05.2012, Reihe IV

Text: 1. Korinther 2,10-16

Liebe Gemeinde!


Sie sind nicht normal! Erwachsene, die an Gott glauben, die in Gottesdiensten, in Liedern, Lesungen und Predigten ihren Glauben stärken und sich vergewissern wollen – nicht normal! Jugendliche, die nach Gott fragen, die nach der Bedeutung von Jesus für ihr Leben fragen, die im Glauben an Jesus einen Gewinn für ihr Leben sehen – nicht normal! Klar, das Wort „normal“ ist schwierig. Was ist schon „normal“? Wir leben in einer Zeit, in der sehr viel möglich ist. Gott sei Dank wird niemandem in Deutschland mehr vorgeschrieben, was er zu glauben und welcher Kirche oder Religion er anzugehören hat. Ob ich in die Kirche gehe oder nicht, ob ich heirate oder nicht, Männer oder Frauen liebe, die Haare bunt färbe oder gern Anzüge trage – so ziemlich alles wird akzeptiert. Aber nicht alles ist normal. Vor allem nicht, an Gott so zu glauben, dass ich von ihm sagen kann: er hat sich wirklich in Jesus gezeigt. An eine höhere Kraft zu glauben, die irgendwo da ist und das Leben nicht weiter stört, das ist normal. Aber daran zu glauben, dass Gott sich in einem lebendigen Menschen offenbart hat, dass er sich den Außenseitern zugewandt hat, dass er gelitten hat, gestorben ist, den Tod besiegt hat, dass der Glaube an Gott auch im Alltag Konsequenzen hat, das ist nicht normal. Das stört. Wie gewaltig der Glauben an Gott stört, das haben mir in der letzten Woche zwei ganz unterschiedliche Ereignisse gezeigt. Einmal ist da eine Auseinandersetzung in Kassel. Eine katholische Kirche zeigt in einer Ausstellung eine menschliche Figur im Kirchturm, gut sichtbar in der Nähe der Weltkunstaustellung „documenta“, die demnächst eröff-net wird. Die Leiterin der documenta hat sich darüber beschwert. Sie fühle sich von der Figur bedroht, die Kir-che solle sich doch auf das zurückziehen, was sie könne, und das sei eben nicht Kunst. Was Kunst sei, sei auf ihrer documenta zu sehen. Außer der Arroganz und Intoleranz der Leiterin einer solchen Ausstellung wundert mich auch, dass es keine öffentlichen Proteste gegen diese Intoleranz gibt. Scheinbar ist es tatsächlich normal, dass der Glauben an Jesus Christus irgendwo an den Rand gehört, vielleicht geduldet beim Abschied aus dem Leben, aber auch dort bitte so, dass er nicht zu sehr stört, Kreuze in Friedhofshallen sind nicht mehr überall selbstverständlich oder gern gesehen.

Das andere Ereignis war ein Gespräch mit einer Vier-zehnjährigen. Sie erzählte mir von einer heftigen Diskus-sion im Kunstunterricht ihrer Klasse, in der es darum ging, ob und wie Gott dargestellt werden dürfe. Als sie in der Diskussion auch sagte, dass ihr der Glauben an Gott etwas bedeutet und sie es nicht richtig findet, dass er in manchen Serien im Fernsehen bösartig veralbert wird, sagten manche dann sehr abfällig: „Na, dann geh doch halt in die Kirche und lass uns in Ruhe“.

Nein, es ist wirklich nicht normal, an Gott zu glauben. Es ist nicht normal, darauf zu vertrauen, dass Gott da ist, auch wenn viele schlimme Dinge in der Welt und manchmal ja auch im eigenen Leben passieren. In einer Welt, in der „Opfer“ ein echtes Schimpfwort ist, ist es nicht normal, daran zu glauben, dass sich Gott ausgerechnet in einem Opfer zeigt und auf der Seite der Opfer steht. Es ist nicht normal, Liebe auch denen zu zeigen, die ganz anders sind, als ich es gern hätte. Es ist nicht normal, den Wert eines Menschen nicht an seiner Bildung oder seinem Vermögen zu messen, sondern im Menschen einen Wert an sich zu sehen. In jedem Menschen, weil ihm als Menschen die Liebe Gottes gilt.

Sonntag, 20. Mai 2012

Der Bund fürs Leben - Exaudi, 20.05.2012, Reihe IV

Text: Jeremia 31,31-34

Liebe Gemeinde!


Der Bund für’s Leben! Eine tolle Sache, wenn es klappt. In diesem Jahr werde ich als Pfarrer so viele kirchliche Trauungen begleiten dürfen, Paare für ihren gemeinsamen Weg segnen dürfen wie schon lange nicht mehr. Und jedes dieser Paare möchte mit vollem Ernst und aus voller Überzeugung von mir gefragt werden: Willst du den Menschen, den Gott dir anvertraut, lieben und ehren und die Ehe mit ihm nach Gottes Gebot und Verheißung führen in guten und in bösen Tagen, bis dass der Tod euch scheidet? Und ich habe schon lange niemanden mehr erlebt, der irgendwie verschämt ein undeutliches „Ja“ genuschelt hätte, sondern meistens höre ich ein kräftiges und deutliches „Ja, mit Gottes Hilfe!“ Die Gottesdienstordnungen unserer Kirche geben auch die Möglichkeit, die Frage anders zu formulieren und auf das „bis das der Tod euch scheidet“ zu verzichten. Statistisch gesehen wird es bei etwa einem Drittel der Paare sicher nicht der Tod sein, der die beiden scheidet, sondern ein weltliches Gericht. Und auch Pfarrer, Kirchenmitarbeiter und wirklich ganz fromme Christen sind nicht immun dagegen, dass aus dem Bund für’s Leben am Ende nur ein Bund auf Zeit wird. Und trotzdem ist es für die allermeisten Jugendlichen, mit denen ich rede, am Ende ein Ziel, jemanden zu finden, mit 20 vielleicht oder mit 25, mit dem man wirklich den ganzen Rest des Lebens teilen will. Und trotz ernüchternder Statistik schließen immer noch, und vielleicht sogar im Moment wieder mehr, Paare den Bund für’s Leben nicht nur auf dem Standesamt, sondern ausdrücklich auch mit dem Versprechen „vor Gott und seiner Gemeinde“, wie es in der Vorrede zu der entscheidenden Frag ein unseren Hochzeitsgottesdiensten heißt.

Als Erwachsener weiß man, und als Kind hat man es manchmal miterleben müssen, dass so ein Bund aber bei allem guten Willen nicht unendlich viele Enttäuschungen verträgt. Irgendwann ist Schluss. Vor allem dann, wenn nicht nur einmal das Vertrauen missbraucht und die Treue gebrochen wurde. Und manchmal ist es für mich auch ein Zeichen christlicher Nächstenliebe, einer Frau Mut zu machen, sich von einem Mann zu trennen, der sie schlägt, der das Geld verzockt und der ihren guten Willen durch permanente Demütigung, Unterdrückung und Untreue missbraucht.

Wie viel Untreue, wie viel Verrat verträgt ein so ein Bund? Wenn wir uns unsere menschlichen Bünde, nicht nur die für’s Leben, auch die Freundschaftsbünde, die Geschäftsbünde oder die Verbindung in einer Kirchen-gemeinde anschauen, dann mag das zwar im Einzelnen unterschiedlich sein, aber im Ganzen muss man feststel-len: diese Zahl ist äußerst endlich. Irgendwann ist dann Schluss.

Und dann? Rache? Selbstvorwürfe? Depression? Freunde bleiben ist jedenfalls in den allermeisten Fällen eine bloße Illusion, da macht man sich was vor.

Erfahrungen aus dem ganz normalen Leben. irgendwann kann man doch nicht mehr richtig lieben. Und irgendwann fangen Menschen an, die Vorstellungen, die sie ha-ben, auf Gott zu übertragen. Das muss doch einer sein, der irgendwann mal genug von der Untreue der Menschen hat. Wir Menschen kriegen soft genug so viele Chancen, Gutes zu tun, zu lieben und einfach nur so zu leben, wie wir eigentlich ja wissen, dass es richtig wäre – und wir schaffen es immer wieder nicht. Und Gott sollte doch endlich mal dazwischenhauen und Ernst machen.

Dienstag, 8. Mai 2012

Mehr als Musik... - Kantate, 8.5.2012, Marginaltext

Die Überschrift ist "geklaut" von Davee (Einfach guter Song!)
Text (später verlesen): 1. Samuel 16, 14-23
Liebe Gemeinde!


Über Musik reden, das geht eigentlich gar nicht. Natürlich kann man Musik beschreiben und auseinandernehmen, man kann dicke Bücher darüber schreiben und wunderbar streiten, welche Musik in die Kirche gehört und welche nicht, welche Musik schön ist und welche nicht, aber das sind alles nur Nebenschauplätze. Musik lebt davon, dass sie anders ist als Sprache. Für mich ist sie ein ganz großes Geschenk Gottes, weil sie Menschen erreicht, die durch Sprache nicht mehr oder noch nicht zu erreichen sind, weil sie es schafft, Menschen zu verbinden, die ganz verschiedene Sprachen sprechen und die sich durch Worte nicht verstehen würden. Musik ist ein großes Geschenk von Gott, weil sie Menschen in ganz traurigen Momenten aufrichten kann, weil sie Kraft, Power geben kann, wenn jemand ganz unten ist. Sie ist ein ganz großes Geschenk von Gott, denn ich glaube, sie verhindert manchmal auch Gewalt. Es gibt ja nicht nur so positiven Rap, wie wir ihn eben gehört haben, da gibt es noch ganz andere Sachen und manchmal berichten seriöse Zeitungen ganz aufgeregt, wie hart die Sprache da ist. Aber ich glaube, dass diese harte Sprache manchen hilft, Aggressionen so los zu werden, dass sie eben nicht zuschlagen oder zerstören, sondern ihre Aggressionen anders loswerden können. Kann man sicher lange und gut drüber streiten, wie über Musik insgesamt. „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“ – diesen Vers aus dem 98. Psalm werden wir am Ende des Gottesdienstes nochmal als Begleitung für die nächste Woche hören. Ja, Gott ist wunderbar und er tut Dinge, über die wir nur staunen können, weil unser Verstand gar nicht groß genug ist, sie zu wirklich verstehen. Und wenn vom Gefühl her nichts anderes übrigbleibt, als einfach nur zu staunen, „wow“ zu sagen und wenn „Danke“ einem einfach viel zu wenig zu sein scheint, warum denn nicht singen, alte Lieder, neue Lieder, einfach Gott ein Stück von seinem großen Geschenk Musik zurückschenken? Aber was ist die richtige Musik für Gott? Von dem Schweizer Theologieprofessor Karl Barth, der vor gut 40 Jahren gestorben ist, wird erzählt, dass er mal gesagt hat: „Wenn die Engel im Himmel Gott loben, spielen sie Bach und wenn sie für sich selbst musizieren, spielen sie Mozart“. Für mich ganz tolle Musik, die ich manchmal richtig gern höre. Und wenn aus dem Weihnachtsorato-rium der Chor „Jauchzet, frohlocket“ erklingt, dann habe ich ein unglaublich gutes Gefühl. Und Mozarts Requiem nimmt dem Tod zwar nicht den Schrecken, aber schafft es bei mir auch, auf eine fast überirdische Weise ein Gefühl von Geborgenheit trotz aller bösen Erfahrungen entstehen zu lassen. Aber ich glaube nicht, dass die Engel vor Gott und für sich nur Musik spielen, die von studierten Musikern, Doktoren und Professoren für wertvoll erachtet wird. Ich glaube, dass es auch Rap- und HipHop-Engel, Rock- und Pop-Engel, Schlager- und Volksmusikengel gibt.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Lebst du noch oder wohnst du schon? - Konfirmation 2012


Musik einspielen, HipHop: dann „Mach doch mal die Musik leiser, was sollen denn die Nachbarn denken!“ – „Ist mir doch egal!“ Dann was Orientalisches: „Boaah wieder die aus dem 3. Stock mit ihrer arabischen Eierkochermusik, ich halt‘s nicht aus, ich hol gleich die Polizei!“ Dann Volksmusik: „Die Frau Schulze soll sich gefälligst mal Kopfhörer zulegen, wenn sie mit ihren 90 nicht mehr gut hört, das ist ja nicht mehr zum Aushalten!“


Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Eltern, Paten, Großeltern, Verwandte und Freunde, liebe Gemeinde!
Es ist nicht einfach wenn viele verschiedene Menschen zusammenleben. Und es gibt ja noch viel mehr Streitpunkte: der Müll, das Putzen, die Gerüche beim Kochen und, und, und. Oder auch die Geschwister, die nerven und einem keinen Platz lassen, die Eltern, die andere Vorstellungen von Ordnung haben und die Augen verdrehen, wenn sie die kreative Raumgestaltung der Kinder sehen oder, oder, oder. Jeder kann wahrscheinlich eine ganze Menge Erfahrungen beitragen. Und je nachdem, wie man wohnt, sind die Träume dann schnell da: wenigstens ein eigenes Zimmer, das ich für mich habe, wo ich die Tür zumachen kann und keine Geschwister nerven. Endlich eine eigene Wohnung, wo die Eltern nicht mehr reinreden. Oder ein eigenes Häuschen, in dem man die Geräusche und Gerüche der Nachbarn nicht mehr so mitbekommt. Ein Stück persönlicher, ganz privater Himmel! Da passt alles, da ist es fast perfekt.

Ein Stück Himmel! Ja. Ein Stück Himmel ist auch auf den Gottesdienstblättern heute drauf. „Was, das ist doch der Richtsberg!“ werden jetzt vielleicht manche denken. Ja, das ist der Richtsberg. Und auch noch eine Ansicht, auf der man ganz besonders die Hochhäuser mit ihren vielen Wohnungen sieht. Und viele wissen oder können sich ausmalen, was da alles ist: Neben vielen netten Men-schen auch unglaublich anstrengende Leute. Leute, die mittags schon besoffen auf dem Marktplatz oder vor der Kirche sitzen. Jugendliche, die auch mal kriminelle