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Sonntag, 16. Januar 2011

Zeig dich doch! - 2. Sonntag nach Epiphanias, 16.01.11, Reihe III

Predigttext: 2. Mose (Exodus) 33,17-23
Liebe Gemeinde!

Das Schlimme war nicht der Streit, sondern die Stille danach. Wird er je wieder mit mir reden? Ich weiß, dass ich es verdient hätte, dass er mich ganz verlässt. So, wie ich sein Vertrauen ausgenutzt und missbraucht habe. Ich weiß, dass es falsch war. Und noch schlimmer: ich weiß genau, dass ich nicht garantieren kann, dass so was nie wieder passiert. Er hätte jeden Grund, wegzugehen. Weiter zu schweigen. Er hat zwar versprochen, mich für immer zu lieben. Aber ich kann verstehen, wenn das jetzt endgültig aus ist. Aber ich will das nicht. Ich halte das Schweigen nicht mehr aus. Ich brauche doch die Nähe, die Zuwendung, die Liebe. Ich spreche ihn einfach an. „Bist du noch da? Zeig dich doch. Bitte. Lass mich sehen, wie groß, wie schön du bist mit deiner Liebe!“ Auch wenn ich weiß, dass ich es nicht verdient habe.

Streit ist selten schön. Vor allem, wenn ich weiß: ich bin eigentlich schuldig. Und ganz schlimm ist es, wenn Vertrauen missbraucht oder enttäuscht wurde. Worte helfen da nicht immer. „Ich will sehen, ich will spüren, dass du noch da bist, dass unsere Beziehung noch eine Chance hat!“ Nicht nur zwischen Eheleuten, Freunden, oft genug zwischen Eltern und Kindern geht das so. Auch bei Mose war es so ähnlich. Lange vor unserer Zeit. Er möchte Gott unbedingt sehen. Nicht deshalb, weil er einfach mal so denkt, dass es ganz nett wäre oder weil er angeben möchte. Sondern weil er wissen will, ob eine kaputtgegangene Beziehung noch eine Chance hat. Gott, so erzählt es die Bibel, hat dafür gesorgt, dass die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten befreit wurden. Gott hat sich ihnen als Gott auf dem Weg gezeigt, als einer der mitgeht, aber nicht festgehalten werden kann. Und kaum sind sie unterwegs, ist dem Volk das zu wenig. Sie wollen einen Gott zum Anfassen und lassen sich ein goldenes Kalb machen, dass sie als ihren Gott anbeten. Ist jetzt alles aus?
Das war passiert, bevor Mose den Wunsch hatte, Gott wirklich zu sehen. Die Bibel, das 2. Buch Mose, erzählt so von diesem Wunsch und dem, was dann passiert:

Exodus 33,1-23

Gott ist hier nicht der große Zerschmetterer, der rach-süchtige, kleinliche Verfolger aller Übertretungen, son-dern der, der zu seiner Liebe, zu seinen Versprechungen steht. Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wes-sen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Ich weiß nicht, wie sie diesen Satz, der hier als eine Aussage von Gott überliefert wird, hören. Ich höre ihn aber erst einmal so, wie ich ihn sagen würde, wenn ich die Macht dazu hätte und in der Position wäre: Ich mach, was ich will. Zu dem einen bin ich gütig und gnädig, zum ande-ren halt nicht. Meine Sache. Aber ich glaube, dass hier nicht unser menschlicher Überlegenheits- und Selbst-darstellungswahn mitspielt, sondern dass der Kern etwas ganz anderes ist. Wenn ich gnädig bin, dann bin ich wirklich gnädig. Dann kannst du dich darauf verlassen, dass ich zu dir halte, auch wenn du mein Vertrauen enttäuscht hast. Du lässt mich vielleicht im Stich – ich dich aber nicht. Wenn ich mich zu etwas bekenne, dann gilt das ganz und gar. Hier, im 2. Buch Mose, gilt diese Zusage nicht nur Mose allein, sondern dem ganzen Volk Israel, den Juden. Eine Geschichte, in der die Bibel Enttäuschungen, Schuld, Versagen nicht verschweigt. Eine Geschichte, die aber zuallererst von Gottes Treue und Gnade trotz aller Schuld geprägt ist. Auf Gott ist Verlass – auch dann, wenn auf die Menschen kein Verlass ist. Durch Jesus hat Gott uns in dieses Treueversprechen mit hineingenommen. Nicht, weil wir anders, besser, zuverlässiger als die Menschen des ersten Bundes wären. Sondern weil sichtbar werden sollte, dass diese Liebe, dieses Versprechen nicht nur einem auserwähltes Volk, sondern der Menschheit gilt. Dem Menschen, den, so erzählt es die Geschichte von der Erschaffung der Welt, Gott als angemessenes Gegenüber geschaffen hat.

Lass mich dich sehen. Lass mich spüren, dass wir eine Zukunft haben, dass Vertrauen wieder neu möglich ist – der Wunsch, den wir aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen ganz gut kennen, der Wunsch, den Mose an Gott richtet – vielleicht ist das auch immer wieder einmal unser Wunsch an Gott. Ich würde gern glauben, ich würde gern hoffen, ich würde gern lieben – aber es fällt oft so schwer. Ich kann dich nicht sehen, wenn ich erlebe, wie ein Mensch qualvoll an Krebs stirbt. Ich kann dich nicht spüren, wenn immer noch Menschen hungern. Wo bist du, wenn nur noch die Gier regiert und schamlos Geld geklaut, Tiere und Menschen vergiftet werden? Ich würde dich gern sehen, wenn ich erlebe, wie die Spielsucht einer Frau ihre Familie in den Wahnsinn treibt. Gott, zeige dich doch, zeige doch, wie gütig du bist. Unsere Lebensumstände sind anders als bei Mose. Aber auch heute erleben wir Gott als einen, der nicht immer offensichtlich da ist, sondern der sich auch verbirgt. Gott sehen, damit ich glauben kann – an Güte, an Liebe, an Wahrheit. Vielleicht geht es uns manchmal dann doch so wie Mose. Und ich glaube, bei allem sagenhaften, was diese Geschichte aus der Bibel enthält, dass einige Punkte bis heute sehr wichtig sind. Nicht nur der, dass Gottes Erbarmen und Treue größer ist als menschliche Schuld und menschlicher Vertrauensbruch.

Gottes Güte – das Wort, das hier in der ursprünglichen Sprache der Bibel steht, heißt auch Schönheit, Glanz, Reichtum – geht vorüber. Ich finde, dass das gerade in der deutschen Sprache ein passendes Wortspiel ist. Nicht, weil die Güte, die Schönheit, der Reichtum Gottes irgendwann mal zeitlich gesehen ganz aus wären, son-dern weil das alles nicht festgehalten werden kann. Gott ist Gott auf dem Weg mit uns. Es gibt Momente, da kann ich das gut wahrnehmen. Da spüre ich, da erkenne ich, wie groß und gut Gott mit seiner Liebe ist. Aber festhalten kann ich das nicht. Es wird immer wieder auch die Momente geben, wo ich das nicht sehen und spüren kann. Gott, so wird es erzählt, stellt Mose auf einen festen, sicheren Grund und schützt ihn mit seiner Hand. Aber auch das führt eben nicht dazu, dass es da etwas festzuhalten gäbe. Für mich heißt das bis heute, dass ich Gott immer wieder bitten darf, dass er sich mir zeigt, dass er sich mir verständlich macht und dass ich da, wo ich Angst davor habe, dass alles Gute und Schöne und alle Liebe weg ist, vielleicht auch aus meiner eigenen Schuld, ihn bitten darf, sich wieder zu zeigen. Aber das wird immer nur ein vorübergehender Augenblick sein, kein Besitz. Ich kann Gott und die Begegnung mit ihm nicht einpacken. Nicht in ein Kreuz, das ich mit mir trage, nicht in Taufwasser, noch nicht einmal ins Abendmahl. Die Begegnung mit Gott geschieht im Vorübergehen. Dieser besondere Augenblick kann und soll dann wieder Kraftquelle für die Schritte im Alltag sein, meine Schritte. Das Erken-nen von Gottes Güte und Schönheit ist nichts Alltägliches, es ist etwas Besonderes, das immer wieder geschehen kann, das ausstrahlt in den Alltag. Das ist ein wichtiger Punkt für mich.

Ein anderer ist der, dass wir Menschen Gott nicht von Angesicht zu Angesicht, praktisch von Gleich zu Gleich erkennen können, sondern ihm nur hinterher sehen können. Im Nachhinein erkennen wir, wo Gott Spuren im Leben hinterlassen hat. An den Wirkungen und Eindrücken erkennen wir, wo Gott war, wie er ist. wir können diesen Spuren folgen. Nachfolgen. Nicht wir legen die Spur der Liebe und des Guten, Gott legt sie.

Ich wünsche uns, dass wir diese Spuren erkennen. Ich wünsche uns, dass wir den Mut finden, nach Gott zu fragen, auch dann, wenn wir das Gefühl haben, seine Liebe vielleicht gar nicht verdient zu haben. Ich wünsche uns, dass wir den Mut haben, nach Vertrauen zu suchen, nach Wegen, es wiederzufinden, auch dann, wenn es durch uns kaputt gegangen ist. Nicht nur in unserem glaubensleben, sondern auch im Alltag. Und ich wünsche uns die Kraft und den Mut, das vorübergehen auszuhalten. Die Kraft, der Versuchung zu widerstehen, Liebe und Glauben besitzen zu wollen. Mut zum Loslassen. Mut, sich vom Augenblick für den Alltag stärken zu lassen. Das wünsche ich uns immer wieder. Amen

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