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Sonntag, 30. Januar 2011

Stürmische Zeiten - Übers Wasser laufen 4. n. Episphanias, 30.01.11, Reihe III

Text: Matthäus 14,22-33
Liebe Gemeinde!


Stürmische Zeiten. Zeiten, in denen die Angst da ist, dass alles, was wichtig ist, untergeht. Wie gut, wenn man in solchen Zeiten nicht allein ist. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und hilft.

Stürmische Zeiten – Ich als Mensch, der in Deutschland aufgewachsen ist, die meisten jüngeren Menschen über-haupt, können sich nicht vorstellen, wie es in der Sowjetunion in den 40er, 50er, 60er und auch noch 70er Jahren war. Der Glauben an Gott war nicht nur nicht gern gesehen. Christen, noch dazu, wenn sie deutsch sprachen, wurde das Leben absichtlich schwer gemacht. In den Häusern konnte man sich treffen, miteinander beten, aus der Bibel und aus Predigtbüchern vorlesen. Gemeinden waren vom Untergang bedroht, Menschen wurden angegriffen. Aber es gab immer wieder welche, die sozusagen Wache hielten und aufpassten, dass die stürmischen Zeiten nicht allzu große Schäden anrichteten.

Stürmische Zeiten – wir können auch in Deutschland in der Gegenwart bleiben. Bei den jüdischen Gemeinden im unseren Land. Ihre Gottesdienste, ihre Schulen, Altersheime, Kindergärten, ihre Versammlungen müssen bewacht und beschützt werden, weil immer noch zu viele glauben, dass Menschen jüdischer Religion kein Recht zu leben haben. Eine Schande, dass das auch 66 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz noch so ist. Nicht nur, aber auch in Deutschland. Gut, dass es Menschen gibt, die aufpassen, dass die Gemeinden und Gottesdienste nicht untergehen.

Stürmische Zeiten. Wir können auch bei den Christen bleiben. Im Irak, in Ägypten, Nordkorea. Wo christliche Gemeinden nicht in Ruhe beten und feiern können, wo die Angst groß ist vor Verfolgung und Mord. Gut, dass es Menschen gibt, die Wache halten, die trotzdem Gottes Wort weitersagen, die trösten, beten, helfen.

Stürmische Zeiten. Wir können auch bei uns auf dem Richtsberg bleiben. Können wir uns dem Sog von Gleichgültigkeit, Gier, Egoismus, materieller und seeli-scher Not entziehen? Während anderswo die Kirchen wenigstens am Heiligabend brechend voll waren, haben bei uns in vier Gottesdiensten am oberen Richtsberg 220 Menschen Gottesdienst gefeiert. 220 von fast 2000 Ge-tauften. Werden wir in der Gleichgültigkeit untergehen? Gut, dass es Menschen gibt, die Wache halten, die mit offenen Augen Gottes Wort leben. Im Alltag, auch au-ßerhalb der Gottesdienste.

Stürmische Zeiten – und was hat das mit mir zu tun? Ich kann mir gut vorstellen, dass manche von euch Konfir-manden oder auch andere im Gottesdienst so fragen. „Was gehen mich die alten Geschichten aus Russland, die Juden, die Christen weit weg oder die Gemeinde-wirklichkeit hier auf dem Richtsberg an? Ich lebe mein eigenes Leben!“ Vielleicht denkt mancher so. Ich glaube aber, dass auch zum Leben mit 13, 14 oder auch zum Leben, dass von den Erfahrungen, von denen ich eben erzählt habe, wenig berührt ist, die Erfahrung gehört, in stürmischen Zeiten zu leben. Die Angst, unterzugehen und die Erfahrung, dass es gut ist, in solchen Zeiten, wenn man Angst hat, nicht allein zu sein, sondern sich beim Aufpassen, dass nichts passiert, abwechseln zu können. Angst, dass alles, was wichtig ist, kaputt geht – die Erfahrung machen leider viel zu viele junge Men-schen. Sorgen wegen kranker Menschen in der Familie, wegen des Geldes, das fehlt, wegen der Schule, wegen Freunden, die sich als falsche Freunde rausstellen, wegen Schwierigkeiten mit Lehrern, mit der Polizei, mit den Eltern, mit Geschwistern. Gut, wenn in den stürmischen Zeiten jemand da ist, der mit Wache hält und hilft, aufzupassen, damit das Allerschlimmste nicht passiert.

Stürmische Zeiten. Zeiten, in denen die Angst da ist, dass alles, was wichtig ist, untergeht. Wie gut, wenn man nicht allein ist in solchen Zeiten. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und hilft.

Warum ich so ausführlich davon erzähle? Weil es auch um diese Erfahrungen in der Geschichte geht, die Matthäus von Jesus und seinen Jüngern erzählt:

Mt 14,22-33

Klar, auf den ersten Blick kann es vielleicht für manche interessanter sein, das Wunderbare an dieser Geschichte näher zu betrachten. Jesus läuft übers Wasser. Seit Jahr-hunderten versuchen Menschen, das irgendwie logisch zu erklären oder zu sagen, dass man das genau so glauben müsse, damit man wirklich Christ ist. Aber Jesus macht das doch nicht, um zu zeigen, dass er ein cooler Superheld ist, für den die Naturgesetze nicht gelten oder um den Glauben im Jahr 2011 auf eine Probe zu stellen. Die Bibel erzählt diese Geschichte, weil es um Erfahrungen mit Gott und mit Jesus geht, die auch heute noch gemacht werden können. Wir sind nicht nachts im Sturm auf dem See Genezareth. Aber Menschen, auch Menschen, die an Gott glauben, die Jesus vertrauen, machen bis heute die Erfahrung, dass sie stürmische Zeiten erleben und da erst mal ohne direkten Draht zu Gott sind. Jesus schickt die Jünger allein auf den See. Wir als Gemeinde, jeder einzelne als Christ erfährt Gott nicht nur als den, der ganz of-fensichtlich da ist, sondern manchmal auch als den, der nicht so leicht zu erkennen ist. Ich denke, dass es einmal um Erfahrungen wie die geht, dass ich angesichts von den Stürmen um mich herum, angesichts der Ratlo-sigkeit, Leid, Krankheit, Begegnungen mit dem Ende des Lebens mich manchmal wirklich frage: „Gott, wo bist du denn da?“ Es geht aber auch darum, Gott nicht von vornherein als Joker zu missbrauchen. Gott traut uns eine ganze Menge zu, was wir auch selbst machen kön-nen. Die Jünger in der Geschichte: sie vergehen erstmal nicht vor lauter Angst im Sturm. Sie tun das Nötige und Richtige. Auch wenn Jesus nicht gleich da ist. Sie halten Nachtwache, sie passen in stürmischen Zeiten aufeinan-der auf. Deshalb auch die Geschichten vom Anfang. Gott mutet uns zu, in stürmischen Zeiten eigene Mög-lichkeiten und Kräfte zu entdecken.

Das zweite in der Geschichte: Jesus taucht auf. Unvor-hersehbar, wunderbar, nicht wirklich zu erklären. Unverfügbar. Wenn mich jemand fragt, eine Konfirmandin, jemand in einem Beerdigungsgespräch, in der Schule: „Sag mir doch mal, wo ich Jesus begegnen kann!“ Dann kann ich, wenn ich ehrlich bin, nur sagen: „Ich weiß es nicht!“ Jesus begegnet oft da, wo ich ihn am wenigsten vermute. Oft ganz wunderbar. Aber auch so, dass ich ihn auf den ersten Blick vielleicht gar nicht erkenne. Die Jünger halten ihn erstmal für ein Gespenst. Sie erkennen ihn daran, dass er ihnen die Furcht, die Angst nimmt. Die Bibel erzählt hier nicht, dass sich der Sturm legt. Die Zeiten bleiben stürmisch. Aber die Angst ist weg. Für mich persönlich ist das das wichtigste Kennzeichen einer Begegnung mit Jesus. Dass er mir die Angst nimmt. Die Angst vor dem, was mein Leben durcheinanderbringt, die Angst davor, in den Stürmen des Lebens unterzugehen. Mir ganz persönlich, mir als Mensch, aber auch uns als Gemeinde. Jesus ist nicht der Zauberer, der die Zeiten einfach macht und das Schwere wegzaubert. Er ist der, der die Angst kleiner werden lässt und hilft, in Stürmen zu bestehen.

Petrus will mehr, so überliefert es uns Matthäus. Er will zu Jesus übers Wasser gehen. Er überwindet die Furcht, macht erste Schritte. Es klappt. So lange er sich an Jesus orientiert. Und dann nimmt er die Umgebung wahr, den Sturm, bekommt Angst und fängt an, zu versinken. Für mich ein gutes Bild. Auch für meinen Glauben, für den Glauben von Menschen heute. Es gibt Momente, da ist wirklich alles möglich. Da ist klar, wo Jesus steht, woran ich mich orientieren kann. Und dann kommt das Leben um mich herum mit aller Macht, mit allen Problemen und Stürmen. Es droht mich, hier im wörtlichen Sinn, wirklich runterzuziehen. Die Orientierung geht oft verloren, die Fragen werden größer als die Antworten. Jesus lässt Petrus nicht untergehen. Er zieht ihn raus. „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ So wird Petrus von Jesus gefragt. Die Frage könnte Jesus oft genug auch mir stellen. Eine Antwort von Petrus ist nicht überliefert. Ich glaube, dass die Antwort auch nicht nötig ist. Ich glaube, dass hier deut-lich werden soll: Gerade da, wo Glauben verlorenzuge-hen droht, wo nur noch ein kleiner Rest Glauben da ist, reicht Jesus die Hand. Nicht die starken Glaubenshelden, die jeder Anfechtung, jedem Zweifel, jeder Gefahr und jedem Sturm trotzen sind es, die seine Hand und seine Hilfe brauchen und bekommen. Es sind die, die, wie Petrus, erste Schritte wagen und dann an ihrem Glauben und Mut im Alltag zu verzweifeln drohen. Die Kleingläubigen. Ich.

Ja, für mich ist diese Geschichte keine, die von einem Supermann Jesus erzählt, für den Naturgesetze nicht gel-ten. Mir erzählt die Geschichte von Jesus, der nicht im-mer gleich da ist, sondern der uns was zutraut. Von Je-sus, der ganz unvorhersehbar da sein kann, unberechen-bar, manchmal schwer zu erkennen. Von Jesus, der Mut macht, auch ungewöhnliche Schritte in schweren Zeiten zu gehen.

Stürmische Zeiten. Zeiten, in denen die Angst da ist, dass alles, was wichtig ist, untergeht. Wie gut, wenn man nicht allein ist in solchen Zeiten. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und hilft. Wie gut, wenn er dann kommt. Unvorhersehbar. Unverfügbar. Und uns heraus-zieht aus der Angst, unterzugehen. Amen.

Sonntag, 16. Januar 2011

Zeig dich doch! - 2. Sonntag nach Epiphanias, 16.01.11, Reihe III

Predigttext: 2. Mose (Exodus) 33,17-23
Liebe Gemeinde!

Das Schlimme war nicht der Streit, sondern die Stille danach. Wird er je wieder mit mir reden? Ich weiß, dass ich es verdient hätte, dass er mich ganz verlässt. So, wie ich sein Vertrauen ausgenutzt und missbraucht habe. Ich weiß, dass es falsch war. Und noch schlimmer: ich weiß genau, dass ich nicht garantieren kann, dass so was nie wieder passiert. Er hätte jeden Grund, wegzugehen. Weiter zu schweigen. Er hat zwar versprochen, mich für immer zu lieben. Aber ich kann verstehen, wenn das jetzt endgültig aus ist. Aber ich will das nicht. Ich halte das Schweigen nicht mehr aus. Ich brauche doch die Nähe, die Zuwendung, die Liebe. Ich spreche ihn einfach an. „Bist du noch da? Zeig dich doch. Bitte. Lass mich sehen, wie groß, wie schön du bist mit deiner Liebe!“ Auch wenn ich weiß, dass ich es nicht verdient habe.

Streit ist selten schön. Vor allem, wenn ich weiß: ich bin eigentlich schuldig. Und ganz schlimm ist es, wenn Vertrauen missbraucht oder enttäuscht wurde. Worte helfen da nicht immer. „Ich will sehen, ich will spüren, dass du noch da bist, dass unsere Beziehung noch eine Chance hat!“ Nicht nur zwischen Eheleuten, Freunden, oft genug zwischen Eltern und Kindern geht das so. Auch bei Mose war es so ähnlich. Lange vor unserer Zeit. Er möchte Gott unbedingt sehen. Nicht deshalb, weil er einfach mal so denkt, dass es ganz nett wäre oder weil er angeben möchte. Sondern weil er wissen will, ob eine kaputtgegangene Beziehung noch eine Chance hat. Gott, so erzählt es die Bibel, hat dafür gesorgt, dass die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten befreit wurden. Gott hat sich ihnen als Gott auf dem Weg gezeigt, als einer der mitgeht, aber nicht festgehalten werden kann. Und kaum sind sie unterwegs, ist dem Volk das zu wenig. Sie wollen einen Gott zum Anfassen und lassen sich ein goldenes Kalb machen, dass sie als ihren Gott anbeten. Ist jetzt alles aus?
Das war passiert, bevor Mose den Wunsch hatte, Gott wirklich zu sehen. Die Bibel, das 2. Buch Mose, erzählt so von diesem Wunsch und dem, was dann passiert:

Exodus 33,1-23

Gott ist hier nicht der große Zerschmetterer, der rach-süchtige, kleinliche Verfolger aller Übertretungen, son-dern der, der zu seiner Liebe, zu seinen Versprechungen steht. Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wes-sen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Ich weiß nicht, wie sie diesen Satz, der hier als eine Aussage von Gott überliefert wird, hören. Ich höre ihn aber erst einmal so, wie ich ihn sagen würde, wenn ich die Macht dazu hätte und in der Position wäre: Ich mach, was ich will. Zu dem einen bin ich gütig und gnädig, zum ande-ren halt nicht. Meine Sache. Aber ich glaube, dass hier nicht unser menschlicher Überlegenheits- und Selbst-darstellungswahn mitspielt, sondern dass der Kern etwas ganz anderes ist. Wenn ich gnädig bin, dann bin ich wirklich gnädig. Dann kannst du dich darauf verlassen, dass ich zu dir halte, auch wenn du mein Vertrauen enttäuscht hast. Du lässt mich vielleicht im Stich – ich dich aber nicht. Wenn ich mich zu etwas bekenne, dann gilt das ganz und gar. Hier, im 2. Buch Mose, gilt diese Zusage nicht nur Mose allein, sondern dem ganzen Volk Israel, den Juden. Eine Geschichte, in der die Bibel Enttäuschungen, Schuld, Versagen nicht verschweigt. Eine Geschichte, die aber zuallererst von Gottes Treue und Gnade trotz aller Schuld geprägt ist. Auf Gott ist Verlass – auch dann, wenn auf die Menschen kein Verlass ist. Durch Jesus hat Gott uns in dieses Treueversprechen mit hineingenommen. Nicht, weil wir anders, besser, zuverlässiger als die Menschen des ersten Bundes wären. Sondern weil sichtbar werden sollte, dass diese Liebe, dieses Versprechen nicht nur einem auserwähltes Volk, sondern der Menschheit gilt. Dem Menschen, den, so erzählt es die Geschichte von der Erschaffung der Welt, Gott als angemessenes Gegenüber geschaffen hat.

Lass mich dich sehen. Lass mich spüren, dass wir eine Zukunft haben, dass Vertrauen wieder neu möglich ist – der Wunsch, den wir aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen ganz gut kennen, der Wunsch, den Mose an Gott richtet – vielleicht ist das auch immer wieder einmal unser Wunsch an Gott. Ich würde gern glauben, ich würde gern hoffen, ich würde gern lieben – aber es fällt oft so schwer. Ich kann dich nicht sehen, wenn ich erlebe, wie ein Mensch qualvoll an Krebs stirbt. Ich kann dich nicht spüren, wenn immer noch Menschen hungern. Wo bist du, wenn nur noch die Gier regiert und schamlos Geld geklaut, Tiere und Menschen vergiftet werden? Ich würde dich gern sehen, wenn ich erlebe, wie die Spielsucht einer Frau ihre Familie in den Wahnsinn treibt. Gott, zeige dich doch, zeige doch, wie gütig du bist. Unsere Lebensumstände sind anders als bei Mose. Aber auch heute erleben wir Gott als einen, der nicht immer offensichtlich da ist, sondern der sich auch verbirgt. Gott sehen, damit ich glauben kann – an Güte, an Liebe, an Wahrheit. Vielleicht geht es uns manchmal dann doch so wie Mose. Und ich glaube, bei allem sagenhaften, was diese Geschichte aus der Bibel enthält, dass einige Punkte bis heute sehr wichtig sind. Nicht nur der, dass Gottes Erbarmen und Treue größer ist als menschliche Schuld und menschlicher Vertrauensbruch.

Gottes Güte – das Wort, das hier in der ursprünglichen Sprache der Bibel steht, heißt auch Schönheit, Glanz, Reichtum – geht vorüber. Ich finde, dass das gerade in der deutschen Sprache ein passendes Wortspiel ist. Nicht, weil die Güte, die Schönheit, der Reichtum Gottes irgendwann mal zeitlich gesehen ganz aus wären, son-dern weil das alles nicht festgehalten werden kann. Gott ist Gott auf dem Weg mit uns. Es gibt Momente, da kann ich das gut wahrnehmen. Da spüre ich, da erkenne ich, wie groß und gut Gott mit seiner Liebe ist. Aber festhalten kann ich das nicht. Es wird immer wieder auch die Momente geben, wo ich das nicht sehen und spüren kann. Gott, so wird es erzählt, stellt Mose auf einen festen, sicheren Grund und schützt ihn mit seiner Hand. Aber auch das führt eben nicht dazu, dass es da etwas festzuhalten gäbe. Für mich heißt das bis heute, dass ich Gott immer wieder bitten darf, dass er sich mir zeigt, dass er sich mir verständlich macht und dass ich da, wo ich Angst davor habe, dass alles Gute und Schöne und alle Liebe weg ist, vielleicht auch aus meiner eigenen Schuld, ihn bitten darf, sich wieder zu zeigen. Aber das wird immer nur ein vorübergehender Augenblick sein, kein Besitz. Ich kann Gott und die Begegnung mit ihm nicht einpacken. Nicht in ein Kreuz, das ich mit mir trage, nicht in Taufwasser, noch nicht einmal ins Abendmahl. Die Begegnung mit Gott geschieht im Vorübergehen. Dieser besondere Augenblick kann und soll dann wieder Kraftquelle für die Schritte im Alltag sein, meine Schritte. Das Erken-nen von Gottes Güte und Schönheit ist nichts Alltägliches, es ist etwas Besonderes, das immer wieder geschehen kann, das ausstrahlt in den Alltag. Das ist ein wichtiger Punkt für mich.

Ein anderer ist der, dass wir Menschen Gott nicht von Angesicht zu Angesicht, praktisch von Gleich zu Gleich erkennen können, sondern ihm nur hinterher sehen können. Im Nachhinein erkennen wir, wo Gott Spuren im Leben hinterlassen hat. An den Wirkungen und Eindrücken erkennen wir, wo Gott war, wie er ist. wir können diesen Spuren folgen. Nachfolgen. Nicht wir legen die Spur der Liebe und des Guten, Gott legt sie.

Ich wünsche uns, dass wir diese Spuren erkennen. Ich wünsche uns, dass wir den Mut finden, nach Gott zu fragen, auch dann, wenn wir das Gefühl haben, seine Liebe vielleicht gar nicht verdient zu haben. Ich wünsche uns, dass wir den Mut haben, nach Vertrauen zu suchen, nach Wegen, es wiederzufinden, auch dann, wenn es durch uns kaputt gegangen ist. Nicht nur in unserem glaubensleben, sondern auch im Alltag. Und ich wünsche uns die Kraft und den Mut, das vorübergehen auszuhalten. Die Kraft, der Versuchung zu widerstehen, Liebe und Glauben besitzen zu wollen. Mut zum Loslassen. Mut, sich vom Augenblick für den Alltag stärken zu lassen. Das wünsche ich uns immer wieder. Amen

Sonntag, 2. Januar 2011

Im Alltag steht der Himmel offen!? - 2. Sonntag n. Weihnachten, 02.01.2011, Reihe III

Text: Johannes 1,43-51
Liebe Gemeinde!

So schnell werden Kinder groß! Vor einer Woche haben wir Weihnachten gefeiert und uns an die Geburt Jesu erinnert. In einem neugeborenen Kind lässt Gott sich finden, so wurde es in allen Kirchen dieser Welt verkündigt. Und jetzt ist er schon erwachsen. Die Festtage liegen hinter uns, Weihnachten, Silvester, Neujahr – jetzt kommt der Alltag wieder. Jesus ist erwachsen geworden. Er beginnt mit seiner Mission. Vielleicht wäre der eine oder die andere gern noch ein wenig in der ruhigen, stillen Zeit geblieben, hätte sich gern noch länger an den so vertrauten Szenen der Weihnachtszeit, dem Kind in der Krippe, den klugen Sterndeutern aus dem Morgenland gefreut. Aber uns hat der beginnende Alltag wieder. Eigentlich gut so. Über-haupt als Bild für unser Leben, für den Glauben. Es ist gut, dass es Festzeiten gibt. Erholung vom Alltag. Es ist gut, dass es Orte gibt, ob die nun real oder durch gemeinsame Überlieferung und gemeinsamen Glauben geprägt sind, an denen wir uns aufgehoben fühlen, an denen wir zur Ruhe kommen – wie hoffentlich an der Krippe im Stall zu Bethlehem. Da war zwar keiner von uns körperlich, aber die Vorstellung kann fast jeder teilen. Es ist gut, dass es diese Orte jenseits des Alltags gibt. Aber wichtig ist es, da nicht stehenzubleiben und diese Orte nicht zu den Hauptorten des eigenen Glaubens werden zu lassen. Gott ist, und das macht er gerade in Jesus und durch ihn deutlich, Gott auf dem Weg mit den Menschen, auf dem Weg zu den Menschen. Gott ist Gott unterwegs. Aufbruch ins Leben, in den neuen Alltag. So wie wir uns dem stellen müssen, gerade zu Beginn eines neuen Jahres, so macht auch Jesus klar, dass der Weg mit ihm kein Verweilen im Lieb-gewonnenen ist, sondern ein Aufbruch. Die, die mit Je-sus gehen, gehen in einen neuen, veränderten Alltag. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es kommt der Alltag – aber der ist anders als vorher.
Wenn wir uns jetzt, nach den ganzen Festtagen, in den Alltag aufmachen, dann bleibt auch für uns die Frage: „Hat sich unser Alltag verändert? Wird alles immer so weitergehen? Hat Weihnachten, die Erinnerung daran, dass Gott sich ganz menschlich zeigt, uns und unseren Alltag verändert? Oder wird es immer so weitergehen, bis zum nächsten Advent, alle Jahre wieder?“
Der Alltag ist stark, keine Frage. Und vieles hält uns da-von ab, wirklich neue Wege zu gehen. Nicht nur die Gewohnheit, sondern auch die Angst vor dem Unbe-kannten, die Angst vor Überforderung. Und die Frage, ob ich überhaupt richtig glaube und ob mein Glauben stark genug ist, den Weg, auf den mich Jesus führt, wirklich zu gehen. Unsicherheit, vielleicht sogar Angst, auf dem Weg schlapp zu machen.
Wie anders ist das, was das Johannesevangelium hier erzählt. Da ist zuerst einmal von Philippus die Rede. Je-sus findet ihn, bittet ihn, ihm nachzufolgen, und der zö-gert nicht und geht mit. Jesus findet ihn. Das steht so im Evangelium. Und das ist schon mal was ganz Entschei-dendes. Bei aller Wertschätzung eigener Aktivität im Glauben, ist es zuallererst Jesus, der den Menschen fin-det. Glauben ist kein Verdienst, auch nicht das Ergebnis langer Nachdenk- und Suchbewegung, sondern ein Angesprochen werden und sich ansprechen lassen. Der erste Schritt ist nicht der, den wir Menschen machen, sondern der, der auf uns zu gemacht wird. Philippus lässt sich finden und geht dann mit. Etwas anders dann der zweite Mensch, von dem Johannes in seinem Evangelium erzählt. Nathanael. Philippus findet ihn, offensichtlich einen, der sich in seinem jüdischen Glauben gut auskennt. „Jesus ist der, auf den wir gewartet haben. Er ist der, den Mose im Gesetz und den die Propheten verkündigt haben.“ So macht Philippus ihm, Nathanael, die Begegnung mit Jesus schmackhaft. Für mich ist Philippus da so ähnlich wie Menschen, die heute andere zum Glauben einladen wollen. „Da ist einer, Jesus, in dem zeigt sich Gott ganz. In dem erfüllen sich auch deine Hoffnungen und Sehnsüchte nach einem Leben, das gelingt“ – sicherlich mit viel mehr Worten, aber im Grundsatz mit ähnlicher Aussage versuche ich als Pfarrer, versuchen Eltern und Großeltern, Freunde und Bekannte anderen einen Weg zum Glauben zu zeigen. Aber dann kommt Nathanael mit seinem Einwand „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ Eigentlich hätte alles doch ganz anders sein müssen! Nazareth, das war zur Zeit Jesu ein kleines, unbedeutendes Dorf in Galiläa. Und dort vermutete man eher das einfache, bäuerliche oder handwerkliche Leben. Leute wie Jesus, Zimmerleute, in scheinbar ganz normalen Familien aufgewachsen, die gab es zuhauf. Und so einer soll der Messias sein, der, in dem die Hoffnungen auf ein Leben mit Gott sich erfüllen? Das erwartete man wohl eher von jemandem aus den großen, vornehmen Städten in Judäa, der mit Recht als neuer David, als König hätte durchgehen können. Aber so ein Handwerker? Menschen heute, auch wir sind anders. Wir haben andere Erwartungen, andere Vorurteile. Aber ich glaube, dass es manchen Eltern oder Großeltern ähn-lich geht wie Philippus. Dass sie, wenn sie ihre Kinder oder Enkel zum Glauben einladen wollen, zu hören be-kommen: Das passt doch nicht in unsere Zeit. Wenn’s Gott gibt, dann habe ich ihn mir aber ganz anders vorge-stellt. Und als Pfarrer bekomme ich so etwas auch immer wieder zu hören. Auch von Leuten, die gebildet sind und die sich gut in der Bibel auskennen. Und auch bei uns selbst sind doch manchmal ähnliche Vorurteile da. Wir haben unsere eigenen Vorstellungen, wie Glauben zu sein hat und wie Gott uns begegnen soll. Je nach Typ hat man es gern feierlich oder locker-fröhlich. Oder man erwartet Gott dort, wo die ganz Armen sind. Oder in schönen Kirchen, wo man sich ihm näher fühlt. Wenn etwas nicht so ist, dann wird man skeptisch. Ob das seine Richtigkeit hat? Mir haben doch alle immer erzählt, Gott müsse majestätisch oder revolutionär, kumpelhaft oder erhaben sein. Was kann denn gut daran sein, wenn es anders ist?
Die Vorurteile werden dann nicht durch Argumente, sondern durch lebendige Begegnung überwunden. Jesus begegnet Nathanael. Und er macht sich nicht lustig über dessen Vorurteile. Er lobt ihn dafür, dass er sich Gedan-ken gemacht hat und eine Position hat. Und diese Be-gegnung bringt Nathanael zum Glauben. Nicht die Ein-ladung des Philippus. Vielleicht muss ich mir das sagen, wenn ich enttäuscht bin über den Gottesdienstbesuch, über Schüler, Konfis und andere, vielleicht müssen sich Eltern und Großeltern oder andere, die selbst im Glau-ben stehen, immer wieder bewusst machen: Unsere Einladungen, unsere Argumente stoßen immer wieder an Grenzen. Sie können Menschen dazu bringen, im guten Fall, dass sie sich ein Stück bewegen und neugierig werden. Aber Glauben wecken kann nur Gott, kann nur Jesus selbst. Nathanael kommt zum Glauben, weil er erfährt: „Jesus kennt mich!“ Aber für Jesus selbst ist das nur der erste Schritt. Er verspricht mehr: der Himmel wird offen stehen. Jesus lässt die Welt zum Himmel hin durchsichtig werden. Auf dem Weg im Glauben, auf dem Weg mit Jesus den Himmel sehen – nicht, in dem wir den Kopf von der Erde wegdrehen und unseren Blick nur in den Himmel richten, sondern indem wir hier, auf dem Weg, sehen, was da ist und in vielem ein Stück Himmel auf der Erde sehen. Das ist das Versprechen, das uns Jesus gibt. Natürlich ist unsere Welt alles andere als himmlisch. Aber in der Gemeinschaft mit Gott, dort, wo Gerechtigkeit herrscht, dort, wo Kranke nicht ausgegrenzt werden, wo Heilung erfahren wird. dort, wo Hungernde satt werden. Dort, wo Jugendliche ernst ge-nommen werden und alte Menschen nicht missachtet oder abgeschoben werden, dort, wo Not gelindert wird. Dort, wo Menschen sich aufmachen und etwas gegen menschenunwürdige Zustände tun, überall dort sehen wir den Himmel offen.
Was wird uns auf unserem Weg im vor uns liegenden Jahr begegnen? Werden wir den Himmel offen sehen? Werden wir mit Jesus gehen? Wird unser Alltag neu, anders sein? Oder werden Zweifel und Vorurteile es uns schwer machen, den Weg, den er mit uns gehen will, zu gehen?
Wir wissen es nicht. Keiner von uns kann in die Zukunft sehen. Was wir aber, was wir nicht nur zu Beginn eines neuen Jahres wissen und uns sagen lassen dürfen, was auch in diesen Versen aus dem Johannesevangelium steckt: wir müssen in den Alltag gehen. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass Jesus uns in unserem Alltag fin-det, zu uns kommt oder Menschen schickt, die uns im-mer wieder zu ihm führen. Wir dürfen sagen, was uns belastet und was Verstehen schwer macht. Und wir dür-fen glauben und vertrauen, dass gerade das uns näher zu ihm führt. Ich wünsche uns, dass unser Alltag in diesem Jahr neu wird. Gestärkt, gehalten, begleitet. Ich wünsche uns, dass wir ganz oft den Himmel offen sehen.
Amen.