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Sonntag, 26. September 2010

Keine Gebrauchsanweisung zum Glauben - 17. n. Trinitatis, 26.09.2010, Reihe II

Text: Römer 10,9-17
Übersetzung: Neues Leben



Liebe Gemeinde!

Eine kleine Reise in die Zukunft. Nicht besonders weit, nur bis zum 8. Mai 2011. Dann wird, so Gott will und wir leben, hier in der Thomaskirche der Konfirmationsgottesdienst gefeiert. Die Konfis, die dann da stehen, werden auf die Frage, ob sie an Gott glauben und ob sie bereit sind, mit Jesus Christus zu leben, mit „Ja“ antworten. Mit dem Mund bekennen sie. Klar, es wäre ja auch peinlich, wenn im wirklich allerletzten Moment das schöne Fest abgesagt werden müsste. Aber ob wirklich alle im Herzen glauben, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, so wie Paulus es als Grundvoraussetzung einer rettenden und guten Beziehung zu Gott beschreibt? Nicht nur manche Erwachsene, sondern auch Mitkonfirmanden sagen: „Der Sowieso macht‘s doch nur wegen der Geschenke!“ Oder: „Die Andrername macht’s nur, weil ihre Mutter das will und weil die Freundin auch dabei ist!“ Aber welcher Mensch kann schon ernsthaft ein Urteil über den Glauben eines anderen fällen? Wir sehen das Verhalten. Wir hören das, was Kinder, Jugendliche und Erwachsene sagen. Wir ziehen Schlüsse daraus. Wir bilden uns ein Urteil. Manchmal ist es sicher richtig. Manchmal ist es knapp und manchmal total daneben. Das liegt nicht nur daran, dass wir Menschen nie vollständig in einen anderen hineinsehen können und ihn wirklich gerecht und richtig beurteilen können. Das liegt nicht nur daran, dass wir alle unsere Grenzen haben und alle dazu neigen, andere nach dem zu beurteilen, was wir für uns als richtig erkennen. Es liegt vor allem, dass der Glauben an Gott keine mechanische und vorhersehbare Angelegenheit ist, sondern höchst lebendig. Glauben passiert im Leben. Und Leben ist kein Stillstand, sondern es wächst. Es verändert sich mit den Menschen, denen wir begegnen, mit den Erfahrungen, die wir machen. Dort, wo sich immer wieder so viel Neues ergibt, kann Glauben nicht vorhersehbar sein, sondern er entwickelt sich, er lebt. Weil wir Menschen leben, vor allem aber, weil wir an einen lebendigen Gott glauben. Glauben ist lebendig und dynamisch. Das ist das Eine. Das Zweite hängt damit zusammen. Glauben ist etwas zutiefst Persönliches. Im Glauben geht es um mich und Gott. Niemand kann mich vertreten, außer Jesus. Menschen können Spuren legen, können mir helfen, wenn ich müde werde, zweifle oder verzweifle, wenn ich nach einem Anfang suche. Eltern und Paten können bei der Taufe ganz ehrlich und mit bestem Gewissen versprechen, dass sie dem Kind helfen wollen, einen Weg zum Glauben zu finden. Und sie können in der Erziehung alles dafür tun. Aber glauben muss das Kind dann selber. Und weil jedes Leben anders ist, entwickelt sich auch jede Beziehung zu Gott ganz besonders – oder sie entwickelt sich vielleicht gar nicht oder sehr spät oder ganz anders. Und jetzt kommt noch etwas Drittes dazu. Obwohl Glaube so persönlich ist und so dynamisch und lebendig, bleibt er doch nicht nur auf mich beschränkt. Wenn ich Jesus wirklich als den Herrn bekenne, dann hat das auch Auswirkungen auf meinen Umgang mit Politik, mit den Menschen um mich herum, mit der Art, wie ich in meinem Stadtteil, in meiner Schule, in meinem Betrieb arbeite, lebe, mich engagiere.

Zu kompliziert für den Sonntagmorgen? Vielleicht. Aber das ist keine Erfindung von mir, sondern das sind genau die Fragen und Beobachtungen, die Paulus schon vor knapp 2000 Jahren gehabt und gemacht hat und über die er hier schreibt. Paulus muss feststellen: obwohl Gottes Wort und seine Liebe für alle Menschen, Juden und Nichtjuden, da ist, und obwohl er, der er sich ja selbst als Juden versteht, alles tut, dieses Wort gut und richtig weiterzusagen, kommt es nicht bei allen gleich an und weckt nicht überall die Sehnsucht, Jesus als den Retter zu bekennen.

Es gibt kein vorhersehbares Gesetz, wie Menschen zum Glauben kommen. Keinen Weg, der für alle gleich und richtig ist und an dessen Ende garantiert der Glauben steht. Paulus schreibt keine garantiert wirksame Ge-brauchsanleitung für den Glauben, sondern eine Einla-dung, es mit dem Glauben zu versuchen.

Wer mit dem Mund bekennt, dass Jesus der Herr ist, wird gerettet. Das schreibt Paulus. Glauben fordert Mut. Den Mut, dazu zu stehen und es auszusprechen, nicht nur für sich zu behalten, dass Jesus der Herr ist. Das ist schon ein großer Schritt. Sich nicht zu verstecken, sondern zu etwas zu stehen. Macht angreifbar. Glauben ist eben nicht unbedingt das, was allgemein als cool gilt. Aber was heißt das eigentlich, „Jesus ist der Herr“? Herr ist derjenige, vor dem ich wirklich höchsten Respekt habe. Herr ist derjenige, dem ich mein Leben anvertraue. Wenn ich Jesus als den Herrn bekenne, dann erteile ich dem eine Absage, der mir weismachen will, dass sich der Wert eines Lebens nach der Schule oder der Uni bemisst, die ich besucht habe. Oder nach dem Geld, über das ich verfügen kann. Oder nach der Logik, dass ich Schwächere gnadenlos ausnutzen darf, wenn sie sich nicht wehren. Jesus steht für die versöhnende Liebe, mit der Gott Menschen begegnet. Schuld wird vergeben und nicht aufgerechnet. Hilfe bekommt der, der sie braucht – unabhängig von Nationalität, Bildung, Glauben, Reich-tum. Dafür steht Jesus. Nicht für die Abgrenzung, sondern für die Liebe zu allen Menschen. Hier wird Glauben enorm politisch. Liebe heißt nicht, die Augen davor zuzumachen, dass es Menschen gibt, die kriminell sind, die ihren Glauben missbrauchen, die Hass säen. Liebe heißt, die Probleme zu sehen, den Menschen zu sehen und nicht ganze Nationalitäten oder Men-schengruppen für die Taten einzelner verantwortlich zu machen. Jesus als den Herrn zu bekennen heißt eben auch, Ungerechtigkeit beim Namen zu nennen und dort, wo ich es kann, für Gerechtigkeit einzutreten. In der Schule, im Berufsleben, im Stadtteil, in der Nachbarschaft - aber eben auch im größeren Maßstab. Das kann nicht jeder. Aber jeder kann die, die das tun, unterstützen.

Wenn du in deinem Herzen glaubst, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet und von Gott gerecht gesprochen werden, so heißt es bei Paulus weiter. Im Herzen glauben – heute denkt man, da käme es auf das Gefühl an. Aber als Paulus das geschrieben hat, war das Herz nicht der Sitz des Gefühls, sondern auch des Verstandes. Das Zentrum des Menschen. Vielleicht kann man es heute ja auch so übersetzen Wenn du drüber nachgedacht hast und es ganz und gar spürst, dass es für dein Leben wichtig ist: Gott hat Jesus nicht tot gelassen, sondern er lebt, dann wirst du gerettet. Vielleicht auch nicht leichter zu verstehen. Ich gebe es zu. Gott ist stärker als der Tod, das ist die entscheidende Botschaft. Jesus ist mehr als ein netter Lehrer, in ihm begegnet uns Gott selbst. Dein Leben hat eine Perspektive, nämlich die, das mit deinem Tod nicht alles aus ist. Die Angst vor dem Versagen soll dich nicht lähmen, sondern du kannst schon jetzt etwas von dem umsetzen, was an Liebe und Vergebung und Gerechtigkeit von Jesus vorgelebt wurde. Darum geht es. Das ist die Rettung. Die Rettung aus der Angst, zu versagen, aus der Angst, nicht gut genug zu sein. Aus der Angst, dass wir für alles allein sorgen müs-sen. Aus der Angst, nicht genug zu bekommen und des-halb anderen was wegnehmen zu müssen. Gott hat uns durch Jesus und durch seine Auferstehung viel mehr ge-geben, als wir uns vorstellen können. Deshalb können wir schon jetzt leben – ohne Angst.

Tja, wenn das so einfach wäre. Wie gesagt, Paulus macht auch die Erfahrung, dass diese frohe Botschaft nicht von allen gehört wird. Oder werden will. Er merkt auch, dass manche dem, was erzählt und vorgelebt wird, Vertrauen schenken und es mit dem Glauben wagen. Andere aber nicht. Und er merkt immer wieder, dass der Glaube le-bendig ist. Glauben ist keine einfache Linie, die immer nur nach oben zeigt. Es gibt Einbrüche, Abbrüche, Neu-anfänge. Paulus schreibt, dass das Bekennen und der Glauben Hören und Verkündigen brauchen. Glauben wächst, wo das lebendige Wort Gottes gehört und ver-kündigt wird. Damit ist aber wohl nicht gemeint, dass man einfach nur in Konfer oder bei der Sonntagspredigt gut zuhören müsste, und schon fängt der Glauben an zu wachsen. Hören, so, wie Paulus es versteht, ist mehr als nur stillsitzen und zuhören. Es ist mitdenken, mitmachen, ausprobieren. Es ist etwas Aktives. Und verkündigen ist mehr als nur ein paar schlaue Sätze sagen. Es heißt auch: vorleben, da sein, ansprechbar sein, auf Fragen reagieren. Ohne beides geht es nicht. Ohne Vorbilder, ohne eigenes Tun. Aber eine Garantie, dass das reicht und dass das klappt, gibt es auch nicht. Glauben ist ein Abenteuer. Deshalb freue ich mich, wenn Jugendliche abenteuerlustig und es probieren. Konfer, Gottesdienste, dass sind kleine Schritte, mehr nicht. Wie ernst sie gemeint sind, wohin sie führen: da können wir nur Gott vertrauen. Und uns Erwachsenen geht es doch oft ähnlich. Glauben ist ein Geschenk, das das Leben schöner macht. Weil er hilft, auch mit den dunklen Seiten im Leben, bei mir zurechtzukommen. Weil er hilft, auch bei anderen nicht nur das Dunkle zu sehen, sondern Hoffnung zu behalten. Über die Zeit, die uns hier gegeben ist, hinaus. Aber es ist ein Geschenk, das man manchmal ziemlich weit nach hinten ins Lebensregal stellt. Gut, dass Gott es uns nicht wegnimmt und wir es immer wieder nach vorne holen dürfen. Gut, dass es andere, die uns begegnen, manchmal nach vorne stellen. Gut, dass die Konfirmanden genauso wie jeder andere Erwachsene dieses Geschenk bekommen. Was daraus wird, wann ein Mensch es auspackt – das dürfen wir nicht nur in Gottes Hand legen, das müssen wir sogar dort hinein geben. Sonst wird aus seiner Einladung menschlicher Zwang und nicht göttliche Gnade.



Amen

Sonntag, 12. September 2010

Selbstbewusst statt Selbstverliebt - 15. nach Trinitatis, 12.09.10, Reihe II

Text: 1. Petrus 5,5b-11
Liebe Gemeinde!


Manchmal macht es einem die Bibel gar nicht so leicht, zu verstehen, was da eigentlich gemeint ist. Da werden Wörter benutzt, die Konfirmanden wahrscheinlich gar nicht mehr kennen. Demut ist so ein Wort, das völlig aus der Mode gekommen ist. Wobei die Erfahrung, gedemütigt zu werden, leider nicht genauso aus dem Alltag verschwunden ist. Ich glaube, dass viele ältere genau wissen, was das ist. Ich denke an ältere und alte Menschen, die aus Russland zu uns gekommen sind. Bis zum zweiten Weltkrieg konnten sie in ihrer angestammten Heimat an der Wolga leben. Dann waren sie auf einmal die Faschisten, wurden vertrieben, zur Zwangsarbeit geknechtet, mussten unter unwürdigen Be-dingungen leben. Nur, weil Deutsch ihre Muttersprache war. Die Sprache wurde verboten, lange auch Gottesdienste und öffentlich zu bekennen, dass man an Gott glaubt. „Ihr seid weniger wert als wir Russen“, das bekamen viele jeden Tag zu spüren. Und dann kamen immer mehr nach Deutschland. Hier waren sie dann zwar nicht mehr die Faschisten, aber plötzlich doch „die Russen“. Und wenn es irgendwo Probleme gab, dann wurde schnell gesagt: „Das sind doch die Russen, die saufen zu viel, die sprechen zu schlecht Deutsch!“ Funktioniert ja auch mit jeder Menge anderer Menschen. Demütigen, das heißt doch nichts anderes, als einem Menschen klar zu machen: „du bist weniger wert, du bist das Letzte!“ Jugendliche heute würden wahrscheinlich nicht „demütigen“ sagen, sie würden „mobben“ oder „dissen“ sagen oder einfach „das sind die Opfer“. Das Wort „demütigen“ ist aus der Mode gekommen. Dum-merweise aber nicht die Versuchung, dass Menschen sich gegenseitig schlecht machen, Schwächere unterdrücken und ausnutzen und manchmal auch noch stolz drauf sind, dass sie ganz oben stehen und auf Opfer herunterschauen können.

Und dann schreibt da einer im 1. Petrusbrief in der Bibel demütigt euch unter die Hand Gottes. Soll das jetzt hei-ßen: „Lasst euch von Gott zum Opfer machen! Lasst euch kleinmachen, unterdrücken!“? Das ergibt doch kei-nen Sinn! Nein, es ist etwas anderes, was hier gemeint ist. „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“, so beginnt der Teil des Briefes, der für heute Predigttext ist. Gott ist nicht auf der Seite der Menschen, die sich für etwas Besseres halten. Er ist nicht auf der Seite der Menschen, die Opfer brauchen, damit sie sich gut und wichtig fühlen. Er lässt sich nicht blenden von klugem Geschwätz oder Reichtum. Menschen, die glauben, dass sie was Besseres sind – leider gibt es viel zu viele Beispiele dafür. Besonders ekelhaft finde ich Menschen, die Gott auch noch für ihren Hochmut missbrauchen. Prediger, die behaupten, sie würden Gottes Wort verkünden und dann davon erzählen, dass Christen, vor allem die, die so an Gott glauben, wie diese Prediger behaupten, dass es der richtige Weg sei, besser seien als Menschen mit einer anderen Religion. Christen, die behaupten, Muslime wären vom Teufel oder man müsse den Koran verbrennen – das ist widerwärtiger Hochmut. Islamische Fanatiker, die es ja gibt, sind kein Grund, als christlicher Glaube getarnte Dummheit zu entschuldigen. Menschen, die behaupten, Araber oder Afrikaner seien auf Grund ihrer Gene weniger intelligent, Menschen, für die Menschsein erst mit dem Abitur anfängt – oder Menschen, die behaupten, Gymnasiasten wären arrogant oder hätten keine Ahnung von der Wirklichkeit, die könne man ruhig mal verprügeln oder abziehen. Arroganz, Hochmut gibt es viel zu oft. Gott lässt sich von Blendern nicht irre machen. Wenn das Hochmut ist, dann heißt Demut nicht, sich fertigmachen lassen oder sich klein und schlecht fühlen müssen, sondern sich mit seinen Grenzen als Mensch unter Menschen zu ak-zeptieren. Demut in diesem Sinn, wie es hier in der Bibel gebraucht wird, heißt, nicht besserwisserisch andere bevormunden zu wollen, sondern als Gleicher unter Gleichen zu leben, gemeinsam unter der Hand und dem Schutz Gottes zu leben. In der Bibel steht ja nicht: Lasst euch von Menschen demütigen! Es steht dort: demütigt euch unter die Hand Gottes – erkennt, dass ihr Menschen seid, die nicht über andere vernichtende Urteile fällen müssen, sondern die miteinander vor Gott leben.

Dem, der diesen Brief in der Bibel geschrieben hat, geht es um ein ganz konkretes Problem. Es gab einige Älteste in den Gemeinden, Gemeindeleiter also, die kraftlos geworden waren. Ihnen ging es vor allem darum, durch die Spenden der Gemeinden eine Absicherung zu bekommen und durch ihr Amt besser dazustehen als andere. Sie glaubten, nur weil sie dieses Amt hatten, seien sie mehr wert. Und es gab einige junge Leute, die sagten: „Das, was die Alten machen, ist Quatsch! Wir wissen, wie Glauben richtig gelebt werden kann, die Alten haben doch längst keine Ahnung mehr!“ In dieser Situation schreibt der Petrusbrief: „Seid nicht hochmütig, denkt nicht, dass ihr besser wäret. Ihr steht gemeinsam vor und unter Gott. Gebt zu, dass ihr auch klein seid, Grenzen habt, nicht alles könnt und wisst.“ Alle eure Sorge werft auf ihn, auf Gott, denn er sorgt für euch! Das ist die große Zusage, die Gott uns macht. Ihr müsst nicht darum kämpfen, der Größte, Stärkste, Beste zu sein. Ihr müsst nicht gegeneinander arbeiten, damit ihr am Ende ganz oben steht. Ihr braucht keine Angst davor zu haben, zu klein, zu alt, zu jung zu sein. Gott kann mit euch etwas anfangen. Und auch dann, wenn ihr das Gefühl habt, mit euch selbst gar nicht mehr zurecht zu kommen, will er da sein und euch geben, was ihr zum Leben braucht.

Ich gebe zu, dass es im normalen Alltag schwer fällt, da-rauf zu vertrauen. Da erlebe ich, dass nicht diejenigen vorn sind, die sich zurückhalten können. Durchsetzungs-fähige Kämpfer scheinen gefragter zu sein. Selbstbewuss-te, die anführen können und von sich überzeugt sind. Ge-gen Selbstbewusstsein ist ja nichts zu sagen, im Gegen-teil. Nur leider wird viel zu oft Selbstbewusstsein mit Selbstverliebtheit verwechselt. Wirklich stark, wirklich selbstbewusst ist doch eigentlich der, der auch mal verzichten kann, der anderen zu ihrem Vorteil und zu ihrem Recht verhelfen kann, ohne dabei zu kurz zu kommen. Selbstbewusst ist doch der, der weiß: Ich bin was wert, auch wenn ich nicht immer an erster Stelle stehe oder wenn ich mal im Unrecht bin. In Jesus hat Gott uns doch gezeigt, dass die wahre Kraft und Stärke darin liegt, vor Niederlagen, vor dem Leid nicht davonzulaufen. Aus der scheinbaren Niederlage, aus dem Tod am Kreuz ist der Sieg des Lebens geworden. Macht über das Leben hat der, der das ganze Leben in sich aufnimmt – nicht der, der vor den Schattenseiten da-vonläuft oder sie ständig überspielt und versteckt.

Und da sind wir jetzt bei der Versuchung, von der der Brief auch erzählt. Er erzählt vom Teufel, der wie ein brüllender Löwe Leben verschlingen will. Der Teufel, das Böse – das ist keine Gestalt mit Hörnern und Pferdefuß, die Menschen frisst. Das Böse, das ist das, was Menschen an Möglichkeiten haben, einander weh zu tun. Das ist die Macht, die Menschen haben, einander Schreckliches anzutun. Das Böse ist da – aber nicht als gegengöttliche Person, sondern als Versuchung, die eigene Macht gegen andere auszuspielen. Als Versuchung, sich selbst auf den Thron zu setzen, der Gott gebührt. Das gibt es im persönlichen Bereich wie im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Die Versuchung ist da, Schwächere auszunutzen, einen Vorteil daraus zu ziehen, das andere Lügen nicht gleich durchschauen, das andere einem Vertrauen schenken. Die Versuchung ist da, von Gott nichts mehr wissen zu wollen und ihn für das verantwortlich zu machen, was Menschen einander antun. Kriege oder sinnloses Leid und Verfolgung. Die Versuchung ist da, wenn auch in Kirchen, Gemeinden, in der Politik, nach Sündenböcken zu suchen: früher Juden, heute Muslime und Einwanderer. Die Versuchung ist da, den eigenen Lebensstil, die eigene Politik nicht nur für gut zu halten, sondern anderen aufzwingen zu wollen. Das alles und noch viel mehr nährt das Böse. Überheblichkeit ist eine der großen Grundversuchungen, eine Wurzel des Bösen. Das Gefühl: ich muss mehr haben, ich muss besser sein, nur dann gelte ich was. Es ist der einfachere Weg im Le-ben, weil er scheinbar schnell zu sichtbarem Erfolg führt. Das, was mit Demut beschrieben wird, sich zurückneh-men können, aufeinander achten, Selbstbewusstsein nicht als Selbstverliebtheit zu leben, sondern als Wissen: Ich bin was wert, egal wo ich auf welcher Rangliste auch immer stehe, ist der härtere Weg. Im besten Fall erntet man mitleidiges Lächeln, im schlimmsten Fall ertragen die, die ihre Lebensenergie aus Demütigungen beziehen dieses Leben nicht – wie bei Dietrich Bonhoeffer, dem Pfarrer, der von den Nazis ermordet wurde, Martin Luther King, der sich für die Gleichberechtigung der Rassen eingesetzt hat. Aber dieser Weg der Demut mit großem Selbstvertrauen ist der, von dem Gott verspricht, dass er sich durchsetzt und ewig sein wird.

Amen