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Sonntag, 4. April 2010

Total verrückt! - Gründonnerstag 2010, Reihe II

Text: 1. Korinther 11,23-26
Liebe Gemeinde!
Es ist völlig verrückt, was wir hier machen. Wir sitzen an einem Donnerstagabend im Jahr 2010 in Marburg in der Thomaskirche, werden gleich eine Oblate essen, noch nicht einmal richtiges Brot. Einen Schluck Traubensaft werden wir trinken oder die Oblate in den Saft tauchen. Wie mag das wohl auf Menschen wirken, die noch nie im Leben irgendetwas von Jesus oder vom Abendmahl gehört haben? Noch verrückter ist, dass wir uns dabei an ein echtes Festessen erinnern. Das letzte Passahmahl, das Jesus mit seinen Jüngern gegessen hat. Ein echtes Festmahl, zu dem es mehr als eine Oblate und einen Schluck Traubensaft gab. Und dann werden wir auch vielleicht sogar noch glauben, dass Jesus auf besondere Art mitten unter uns ist. Verrückter geht es kaum noch. Ja, es ist verrückt, was wir hier machen. Verrückt für mich aber nicht in dem Sinn, dass es geistig nicht so ganz gesund ist. Verrückt in einem anderen Sinn. Verrückt, weil es die Maßstäbe und Grenzen, die uns von unserer Vernunft und unseren alltäglichen Erfahrungen gesetzt werden, in ein anderes, neues Licht rückt. Verrückt, weil es uns in ein neues Leben rückt, das sich nicht mit dem zufrieden gibt, was jeden Tag um uns ist und scheinbar unumstößliche Geltung beansprucht. Schön, dass sie hier sind. Dass sie den Mut haben, so verrückt zu sein, heute Abend mitzufeiern. Eigentlich spricht doch alles dafür, dass diese Feier längst eingegangen sein müsste. Beinahe seit es Christen gibt, streiten sie sich Christen darüber, was beim Abendmahl passiert oder auch nicht. Verwandelt sich ein bloßes Stück Brot, eine bloße Oblate, ein Schluck Wein wirklich in den Leib und das Blut Jesu? Oder ist das alles nur ein Symbol, eine Erinnerung an das letzte Mahl von Jesus mit seinen Jüngern oder an die vielen Essen, die Jesus mit Menschen am Rand der Gesellschaft gehabt hat? Bleibt Brot Brot und Wein Wein, aber Jesus kommt für die, die dran glauben mit dazu? Kann das Essen und Trinken die Vergebung von Sünden bewirken? Und überhaupt: Wer darf eigentlich mit essen und mit trinken? Es kann Spaß machen, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Als Jugendlicher war ich froh, dass ich in einer reformierten Gemeinde aufgewachsen bin, in der Brot und Wein bloße Symbole waren. Ich war naturwissenschaftlich und mathematisch interessiert. Vielleicht wäre ich aus der Kirche ausgetreten, wenn irgendjemand mich gezwungen hätte, zu glauben, dass da mehr ist. Auch ich bin älter und milder geworden. Ich sehe es heute etwas anders. Für mich ist Jesus da, wenn wir feiern. Aber Brot bleibt immer noch Brot und Wein bleibt Wein. Aber ist das wirklich das Entscheidende? Ich bin es leid. Ich bin es leid, das ausgerechnet diese Einladung, die Jesus macht, die sich auf Jesus beruft, benutzt wird um sich abzugren-zen und auf vorletzten Richtigkeiten zu bestehen. Wer darf mitfeiern, wer nicht? Sie sind hier und feiern. So soll es sein. Und Millionen von Christen feiern heute welt-weit. Klar, vielleicht denkt mancher heute im Gottes-dienst: Lohnt sich das? Wir sind so wenige! Es könnten doch mehr sein! Aber entscheidend ist nicht die Zahl der Menschen hier. Und auch nicht, dass jeder genau weiß, was jetzt nun beim Abendmahl passiert. Da gibt es nämlich wenig zu wissen und viel zu glauben. Und zu tun.
Das, was ich uns eben als Predigttext vorgelesen habe, was Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat, kommt, glaube ich, den meisten sehr bekannt vor. Da sind die Worte, die ein Pfarrer oder eine Pfarrerin heute noch sagt, wenn das Abendmahl gefeiert wird. Da ist die Erinnerung an die Nacht des Verrats. Da ist aber auch noch mehr. „So oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“. Immer wenn wir bei dieser Feier mitmachen, geschieht etwas Besonderes. Nicht erst dann, wenn alle ganz genau wissen und nacherzählen können, was da passiert. Nicht wenn alle, die mitfeiern, eine Prüfung abgelegt haben, wenn alle das Gleiche denken. Sondern immer dann, wenn Menschen zusammenkommen, um miteinander unter Berufung auf Jesus miteinander Brot und Wein zu teilen. Das Entscheidende ist, das Menschen zusammenkommen, um diese Feier zu halten. Mit unterschiedlichen Vorgeschichten, mit unterschiedlichen Lebenswegen. Jesus hat bei dieser Feier selbst den er-tragen und nicht weggeschickt, der ihn verraten hat. Und auch die, von denen er wusste oder ahnte, dass sie es in schwierigen Stunden nicht schaffen, bei ihm zu bleiben, wie die Jünger, die im Garten Gethsemane bei ihm waren und eingeschlafen sind, wie Petrus, der nicht zugeben wollte, dass er ein Anhänger Jesu war, selbst die haben mitgefeiert. Da wurde nicht lange gefragt, ob sie es wert seien, ob sie verstehen, was sie da tun. Entscheidend ist, dass Jesus es ist, der einlädt. Entscheidend ist, dass sich Menschen einladen lassen. Und nicht, ob es Oblaten oder richtiges Brot gibt, Einzelkelche oder Gemeinschaftskelch, ob das Brot in den Wein getaucht wird oder der Wein direkt getrunken wird. Darüber kann man lange streiten und man findet für alles tolle Argumente. Aber wirklich wichtig ist, dass durch die Feier etwas passiert. „So oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“. Die Feier macht sichtbar und öffentlich, dass Menschen darauf vertrauen, dass Jesus Gemeinschaft schenkt. Eine Gemeinschaft, die von der Vergebung lebt, die durch seinen Tod geschenkt ist. Es ist nicht die Gemeinschaft der Perfekten, die alles richtig machen, die sich heute Abend hier in der Thomaskirche, in der Elisabethkirche, in Jerusalem, in Kapstadt, Los Angeles, Santa Cruz, Moretele, Moshi oder anderswo trifft. Sondern die Gemeinschaft, die darauf vertrauen kann, dass Jesus auch für die da ist, die Schuld auf sich geladen haben. Eine Gemeinschaft, die weiß, dass jede und jeder, der mitfeiert, auf Vergebung angewiesen ist. Eine Gemeinschaft, die wissen darf, dass sie, so, wie sie ist, zum Leib Christi gehört. Wenn wir in unserer Feier den Tod Jesu, das Heil für die Menschen, die Versöhnung mit Gott verkünden, dann sind wir doch unglaubwürdig, wenn wir uns gegenseitig ausschließen, wenn wir hohe Zäune um diese Feier errichten. Als wollten und könnten wir irgendetwas besser machen als das, was Jesus schon längst für uns getan hat! Er hat uns Gemeinschaft mit Gott geschenkt. In seinem Tod hat er deutlich gemacht, dass uns nichts, auch keine Schuld, auch nicht schlimmstes Leid aus dieser Gemeinschaft ausschließt. Die Verantwortung, die wir haben, wenn wir feiern, ist nicht die, Jesus möglichst perfekt zu imitieren oder möglichst schön und nach außen heilig zu feiern. Das Heilige können wir gar nicht selbst herstellen. Es wird uns geschenkt. Unsere Verantwortung ist es, so zu feiern, dass auch Menschen, die außen stehen, merken: da geschieht etwas mit denen, die feiern. Da bildet sich eine Gemeinschaft ab, die eben mehr ist als eine nette Freundschaft der Menschen, die zufällig da sind. Wir verkünden den Tod Jesu, seine Einladung, es neu mit Gott zu versuchen, seine Einladung, Vergebung anzunehmen und ein Leben zu versuchen, dass nicht in dem aufgeht, was irgendeine Mehrheitsmeinung für richtig hält. Wir verkünden das in unserer Feier bis er kommt. Er, von dem wir alles Heil, alles Gute erwarten können. Er, dessen Kommen die Welt endgültig so sein lässt, wie sie im Guten gemeint ist. Voller Gerechtigkeit, Frieden und Wahrheit. Ohne Leid. Das Abendmahl will uns Wegzehrung der Hoffnung sein. Damit auch andere diese Hoffnung spüren können. Es will und kann nicht Endstation sein, die das alles schon abbildet. So wenig wie unser Miteinander das perfekt abbilden kann. Es ist verrückt, dass wir nicht aufgeben. Es ist verrückt, dass seit fast 2000 Jahren Menschen im gemeinsamen Essen und Trinken Jesus in ihre Mitte lassen. Es ist verrückt, nicht zu verzweifeln, sondern zu hoffen. Aber Gott sei Dank lädt er uns immer wieder ein, mit ihm zu feiern, unsere kleinlichen Streitereien zu begraben. Gott sei Dank bedient er sich immer wieder unseres unvollkommenen Miteinanders, um deutlich zu machen, dass er nicht für die Perfekten gekommen ist, sondern für die, die ihn wirklich nötig haben. In allem Streit, in aller Unsicherheit, in aller Vorläufigkeit des Lebens. Gott sei Dank dürfen wir feiern. Auch heute. Seinetwegen. Mit ihm. Unabhängig davon, wie wir uns sein Dabeisein vorstellen.
Amen

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