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Sonntag, 12. Juli 2009

Vorbild? - 5. n. Trinitatis, Reihe I, 12.07.09

Text: Lukas 5,1-11

Liebe Gemeinde!

Was haben wohl seine Frau und seine Kinder gesagt, als Petrus eines Tages nicht mehr nach Hause gekommen ist? Als Fischer hat er die Familie ernährt, sicher hat die Familie nicht im Luxus gelebt, aber sie hatten durch den Beruf des Vaters ihr Auskommen. Und dann geht er weg. Geht mit einem, der ihn, so heißt es hier wörtlich, zu einem machen will, der Menschen fängt. Petrus war verheiratet, davon erzählt das Neue Testament. Und vermutlich hat er auch Kinder gehabt. Wenn er getrunken hätte und seine Familie verprügelt hätte, dann wären sie vielleicht froh gewesen, ihn endlich los zu sein. Aber so? Klar, er ist nicht wegen einer jüngeren Frau weggelaufen. Aber macht es das wirklich besser? Da kommt einer, kann offensichtlich toll reden, denn ihm wollten ja so viele zuhören, dass er das Boot von Petrus als Bühne brauchte, weil am Ufer nicht genug Platz war. Da kommt einer, erzählt von Gott, sagt: „Folge mir nach, du wirst Menschen fangen!“ Und schon lässt er sich einfangen und gibt alles auf.

Für Männer, die von Freiheit träumen, ist Petrus vielleicht eine Art Vorbild. „Das ist ein echter Kerl, der zieht sein Ding durch, ein Mann muss halt konsequent sein!“ Für Frauen, die ihre Kinder allein erziehen, weil sich der Erzeuger aus dem Staub gemacht hat, für Kinder, die ihren Vater kaum kennen, weil er sich einfach abgemacht hat, ist Petrus vielleicht höchstens ein weiteres Beispiel für „noch so einen Typen, auf den man sich halt nicht verlassen kann!“ Vielleicht war es nicht wirklich so dramatisch, die Bibel erzählt davon, dass Petrus später seine kranke Schwiegermutter besuchte und Jesus sie heilte. Aber mir macht diese Geschichte deutlich, dass wir uns vor zweierlei hüten müssen. Zum einen davor, zu leicht und zu schnell zu sagen: „Im christlichen Glauben geht es um die heile Familie, darin spiegelt sich Jesus wieder.“ Und zum anderen davor, so zu tun, als würde einen der Glauben an Gott davor bewahren, unbequeme Entscheidungen treffen zu müssen.

Natürlich ist es toll, wenn Familien funktionieren. Es ist schön, wenn beide Elternteile Verantwortung übernehmen und sich auch unabhängig von einem gemeinsamen Kind lieben. Aber ich finde es, gerade um der vielen Menschen willen, die eben, auch hier bei uns, keine in diesem Sinn heile Familie haben, wichtig zu sehen, dass Gott keine Lebensform bevorzugt und dass diejenigen, die eben nicht in heilen Familien leben, für Gott nicht minderwertig sind. Damit kein Missverständnis aufkommt: Das soll keine Entschuldigung für verantwortungslose Männer sein, sich abzumachen. Zum Kreis um Jesus gehörten, das wird an anderer Stelle deutlich, auch Frauen, die mit Männern sehr schlechte Erfahrungen machten.

Unbequeme Entscheidungen zu treffen, wenn es um den Glauben geht - auch darum geht es hier in der Geschichte von Petrus. Was steht an erster Stelle? Familie, Freundschaft - oder das, was wahr, richtig und für das Leben gut ist? Gott sei Dank ist das ja nicht unbedingt ein Gegensatz. Aber mich beschäftigt immer noch ein Fall von Kindesmissbrauch hier am Richtsberg, bei dem sehr lange geschwiegen wurde, um die Familie zusammenzuhalten. Oder die Frage, ob ich es sagen darf, wenn ein Freund klaut, Drogen nimmt, Schlägereien anzettelt, Schwächere mobbt - Wenn ich es ernst nehme, dass Gott die Liebe ist, dass Gott ein Gott des Lebens ist, dass der Glaube Menschen zum Leben führt, dann muss ich mich vielleicht manchmal gegen die Freundschaft, oder sogar gegen die Familie stellen. Unbequeme Wahrheiten sagen, auch deshalb, weil der andere nur dann eine Chance hat, sich zum Guten zu ändern, wenn er merkt, was falsch ist.

Wo jetzt schon mal das Stichwort „gut“ gefallen ist: Vielleicht fragt sich ja der eine oder die andere, wo in meiner Predigt das Gute bleibt, gerade heute, wo wir doch auch Taufe feiern? Ja, ich könnte noch mehr Negatives sagen: Darüber, dass ich es nicht gut finde, dass Petrus Menschen fangen soll. Glauben, das zeigt doch eigentlich die Art und Weise, wie Jesus mit Menschen umgeht, fängt Leute doch nicht gegen ihren Willen ein, sondern er öffnet ihnen die Augen, damit sie einen guten Weg finden und von falschen Wegen umkehren. In Freiheit, freiwillig, nicht gezwungen. Aber jetzt endlich zum Guten. Das Beste kommt eben zum Schluss. In dieser Erzählung von Petrus steckt als eine ganz wichtige, richtig gute Erkenntnis, dass der Mut, Vertrauen zu haben und Entscheidungen zu treffen, belohnt wird. Petrus war Fischer. In seinem Beruf weiß er, dass man Fische in einem See entweder frühmorgens oder spätabends und nachts fängt, wenn es kühler wird und die Fische wieder zur Wasseroberfläche kommen. In der Tageshitze fängt man nichts. Trotzdem hat er den Mut, Jesus zu vertrauen und sich nicht nur auf seine Erfahrung zu verlassen. Er wird nicht enttäuscht. Vertrauen lohnt sich - nicht, weil wir irgendwelche spektakulären Wunder erleben werden, sondern weil wir durch das Vertrauen in Gottes Liebe, in Jesus, Lebensmöglichkeiten im Überfluss bekommen. Dafür steht der große Fischfang. Überfluss nicht in dem Sinn, dass wir Paläste, Villen, Champagner und Diener bekämen, sondern in dem Sinn, dass wir immer wieder auch in schweren Situationen sehen werden, dass Leben möglich ist und Gott bei uns ist.

Mut zur Hoffnung, Mut zum Vertrauen, Mut auch zu unbequemen Entscheidungen, das wünsche ich nicht nur Anastasia (und Andreas), die wir heute getauft haben. Sondern das wünsche ich uns allen. Ich wünsche den Kindern und uns Erwachsenen, dass wir Halt in der Familie finden, keine Frage. Ich wünsche Anastasia, Andreas und uns allen, dass wir in ihr das erfahren, was in dieser Geschichte angelegt ist: dass wir sie als Ort erleben, an dem wir eigene Wege gehen können, der uns Raum dafür lässt und uns den Weg der Liebe, der Gerechtigkeit und der Wahrheit gehen lässt. Dass wir aber auch da, wo wir erleben, dass das anders ist, nicht die Biologie vor Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit stellen, sondern den Mut haben, auf dem Weg Jesu zu bleiben. Und ich wünsche uns, dass wir so offen werden für die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten wie es die Gemeinschaft um Jesus war. Dass niemand sich schlecht fühlen muss, weil er anders leben will oder leben muss als wir es normalerweise richtig finden. Amen.

Sonntag, 5. Juli 2009

Respekt! - 05.07.09, 4. Sonntag nach Trinitatis, Reihe I

Text: Lukas 6,36-42

Liebe Gemeinde!
Wie ist das, wenn sie kritisiert werden, wenn ihr kritisiert werdet? Bleiben sie, bleibt ihr ruhig und sachlich? Sind die ersten Gedanken: „Ja, der andere hat vielleicht Recht?“ Oder macht die Kritik fertig, so etwa dass man denkt „Ich bin nichts wert, ich kann ja gar nichts!“? Oder ist die Reaktion auf Kritik meistens, dass man dem Kritiker sagt: „Was willst du denn, bei dir ist das doch auch so, du brauchst mich gar nicht zu kritisieren, du kannst oder machst das ja auch nicht besser!“ Oder ist die Reaktion vielleicht die, dass einem Kritik grundsätzlich nichts ausmacht, weil man denkt: „Mir kann ja doch keiner was, ich bin halt so und so wie ich bin, bin ich toll!“
Urteile von anderen zu hören und auszuhalten und richtig damit umzugehen, das ist nicht immer einfach. Und noch viel schwerer ist es, andere zu beurteilen und andere gerecht positiv oder negativ zu kritisieren. Vielleicht lobt man andere öffentlich viel zu viel aus Angst, dass dann, wenn man das, was einem nicht gefällt, auch laut sagt, man selber auch negativ beurteilt wird. Oder man kritisiert ständig ganz hart und merkt gar nicht, dass man anderen damit weh tut oder dass der andere aus ganz verschiedenen Gründen gar nicht den Ansprüchen, die man stellt, gerecht werden kann.
Man kann es mit dem halten, was Jesus sagt und was ich eben vorgelesen habe: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Aber es ist falsch, wenn man aus dem, was Jesus sagt, einfach den Schluss zieht: „Verzichtet drauf, Schlechtes schlecht und Böses böse zu nennen, damit ihr nett behandelt werdet.“ Und es ist auch falsch, wenn man so einfach den Schluss zieht: „Wie du mir, so ich dir“ oder: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus.“ Natürlich ist es so, dass einem andere Menschen eher nett, freundlich und aufgeschlossen begegnen, wenn man so auf andere zu geht. Aber aus Angst vor einem Urteil über sich selbst auf Wahrheit verzichten, das ist nicht im Sinne Jesu. Mich hat am letzten Dienstag eine Konfirmandin gefragt, warum Gott Adolf Hitler und das Böse, das er und andere mit ihm gemacht haben, zugelassen hat. Eine Antwort ist nicht leicht. Aber Menschen sind keine Marionetten Gottes, sondern haben ihre Freiheiten und können Freiheit auch zum Bösen missbrauchen. Und weil zu viele Menschen die Freiheit, die sie haben, nicht genutzt haben und das Böse, dass sie in Hitler gesehen haben, so nicht öffentlich benannt haben und gegen das Böse aufgestanden sind, konnte sich das so durchsetzen. Wenn wir uns nicht mehr auf die Suche nach der Wahrheit, nach dem Guten, nach dem, was Leben möglich macht und voran bringt, machen, wenn wir uns nicht mehr trauen, gut und böse zu unterscheiden, dann wird die Lüge, dann wird das Böse wirklich mächtig werden. Weil niemand sich traut, zu widersprechen. Jesus war anders. Er hat Klartext geredet. Es geht deshalb auch in dieser Rede von Jesus nicht darum, aus Vorsicht oder aus Angst nett und lieb zu allen zu sein. Es geht aber darum, in seinem Urteil nicht nur auf andere zu zeigen, sondern auch das eigene Versagen und die eigene Schuld wahrzunehmen. Es geht darum, keine endgültigen Urteile über Menschen zu fällen und sie nicht auf ihre Fehler und ihre Schuld festzunageln. Es geht um Mitmenschlichkeit, Barmherzigkeit und Großzügigkeit. Es geht darum, ein Stück weit zu lernen, den anderen Menschen mit Gottes Augen sehen zu lernen.
Ein gutes, weil leider viel zu oft alltägliches, Beispiel ist für mich der Umgang von manchen Erwachsenen mit Jugendlichen und umgekehrt. Manche Erwachsene sehen in Jugendlichen zuallererst Störenfriede, die die gewohnte Ordnung durcheinander bringen. „Sowas hätte es früher nicht gegeben! Die Jugend von heute! Die sollten mal so werden wie wir waren!“ Mal abgesehen von der Frage, ob man als Erwachsener früher wirklich immer anders war als Jugendliche heute, ist es auch zu einseitig, immer nur das Negative zu sehen und gar nicht dran zu denken, dass Leben heute auch anders ist und vor anderen Herausforderungen steht als vor 30 oder 50 oder 70 Jahren. Meinen Maßstab als Erwachsener setze ich als absolut richtig - und dem müssen alle genügen, sonst sind sie böse. Umgekehrt gibt es aber auch nicht gerade ganz wenige Jugendliche, die sehen in Erwachsenen nur die „Alten, die sowieso keine Ahnung haben“. Diejenigen, deren Leben bald vorbei ist und die nichts mehr können und kapieren. Alles, was nicht jugendlich, scheinbar modern und locker ist, zählt nicht. Das ist genauso falsch. Immer, wenn die eigenen Maßstäbe absolut gesetzt werden, wenn ich nichts neben mir sehen will und gelten lasse, dann werde ich zum Diktator und richte mich mit meiner Umbarmherzigkeit eigentlich selbst. Respekt und Toleranz, die keine leeren Floskeln sind, fangen da an, wo ich bereit bin, mich von anderen in Frage stellen zu lassen und wo ich andere in Frage stellen kann, ohne ihnen das Menschsein abzusprechen. Im konkreten Fall heißt das, dass ich mich als Erwachsener von Jugendlichen schon mal fragen lassen muss, ob ich nicht im Laufe meines Lebens zu bequem geworden bin, ob nicht meine scheinbare Ruhe und Erfahrung nur getarnte Bequemlichkeit sind. Und dass ich mich als Jugendlicher auch anfragen lassen muss, ob meine Freiheit, die ich mir nehme, in Wirklichkeit ganz einfach Ignoranz, Faulheit und Respektlosigkeit ist. Das, was ich von anderen fordere, muss ich auch bereit sein, andern zu geben. Nichts anders fordert Jesu hier. Aber nicht um den Preis der Vernichtung, des Besiegens und der Rechthaberei, sondern um den Preis des Zurechtbringens auf den Weg der Liebe, den Gott gezeigt hat.
Das ist doch sein großes Geschenk an uns. Die ganzen Hinweise und manchmal ja auch nötigen Ermahnungen, die Jesus hier gibt, die ergeben ja erst dadurch Sinn, dass Gott uns schon vorher genauso, nämlich mit überfließender Liebe und Vergebung, begegnet. Der entscheidende Satz, ohne den alles andere zusammenfällt, ist der, dass Gott uns ein überfließendes Maß, überreichlich schenken wird. Überreichlich viel Liebe und Vergebung. Gott rechnet nicht kleinlich auf, sondern er gibt im Voraus. Die Frage ist halt, wie wir mit diesem Geschenk umgehen. Ob wir sagen: „Natürlich stehen mir Geschenke zu. Natürlich ist es richtig, dass ich geliebt werde. Natürlich ist es richtig, dass man bei mir auch großzügig mit dem Vergeben ist, denn: „Nobody is perfect!“ Aber: andere haben mir gegenüber gefälligst ihre Schulden genau zu bezahlen und sie haben sich genau an die Regeln zu halten, die ich für richtig halte und wehe, da sind Abweichungen dabei“ oder ob wir sagen: „Die Liebe, die mir geschenkt ist, kann ich locker weitergeben. Ich muss nicht auf meinem guten Recht bestehen, ich kann verzeihen, auf andere zugehen, anderen zuhören, nicht großzügig über Fehler und Schuld hinwegsehen, sondern großzügig vergeben!“ Die Maßstäbe, die ich anlege, die Art, wie ich mit dem Geschenk der Liebe umgehe, spielen dann auch eine Rolle dafür, wie ich nicht nur von anderen, sondern auch von Gott wieder angeschaut werde. Der Knackpunkt, das wirklich Schwierige dabei ist, Großzügigkeit nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln. Gleichgültigkeit tötet die Liebe. Leider leben wir, so empfinde ich es oft, in einer Zeit, in der Respekt mit Angst und Großzügigkeit und Toleranz mit Gleichgültigkeit verwechselt werden. Freiheit, Klarheit und Liebe sind schwerer zu Leben als Gesetz, Härte und Strenge. Aber wenn wir Gott wirklich als die Liebe predigen und als Christen versuchen, ihn so eben auch durch unser Leben und unseren Umgang miteinander vor zu leben, können wir nicht auf den Weg der Härte und des Gesetzes zurück, ohne Glaubwürdigkeit zu verlieren. Aber wir dürfen eben auch nicht übersehen, dass der Grat zur Gleichgültigkeit schmal ist. Jesus sagt ja nicht: „Behalte den Balken in deinem Auge und lass dem anderen den Splitter in seinem Auge“ - und auch nicht: „Zieh den Balken aus deinem Auge, was beim anderen ist, geht dich nichts an!“, sondern: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und hilf dann dem anderen, den Splitter aus seinem Auge zu entfernen!“ Fang bei dir an, räum weg, was der Liebe, der Toleranz, der Großzügigkeit im Weg steht - aber dann mach die Augen auf für den anderen und hilf ihm, Gottes Weg, den Weg der Liebe, des Respekts, der Toleranz und Großzügigkeit als den Weg zum guten, zum echten Leben zu sehen und zu gehen.