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Mittwoch, 30. Dezember 2009

Die guten ins Töpfchen... - Silvester 2009, Reihe II

Text: Römer 8,31-39
Liebe Gemeinde!
„Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“ Mache es wie Aschenputtel, besser gesagt, wie ihre Tauben, und behalte das Gute und lass das Schlechte einfach ver-schwinden. Oder: „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl’ die heitren Stunden nur!“ Oder denke ganz einfach positiv! Es gibt jede Menge Ratschläge und Poesiealbumsprüche, die dem Leben Gutes abgewinnen wollen. Und jetzt, am letzten Abend des zu Ende gehenden Jahres, da kann man Bilanz ziehen. Wie viel Gutes ist im letzten Jahr im Töpfchen gelan-det und wie viel Schlechtes musste ins Kröpfchen? Wie viele heitere Stunden hatte die eigene Sonnenuhr am Ende zu zäh-len? Ich kann auch etwas böser fragen: wie viel Staub musste unter den Teppich gekehrt werden, wie hoch sind die Staub-berge, die sich da türmen, damit der Rest der eigenen Le-benswohnung einigermaßen sauber, ordentlich und aufge-räumt an das neue Jahr übergeben werden kann? Natürlich wird das alles ganz unterschiedlich sein. Bei manchen war das zu Ende gehende Jahr ein Jahr mit ganz vielen schönen Erfahrungen, mit überraschenden, schönen Begegnungen, mit Menschen, die einen selbst positiv beeinflusst haben und vo-rangebracht haben oder auch mit der Erfahrung, dass Gott wirklich im eigenen Leben da ist und hilft und Neuanfang und viel Gutes schenkt. Für andere ist das Jahr eins, das am besten gar nicht angefangen hätte und das man so schnell wie möglich wieder vergessen möchte. Ich denke an ein Eltern-paar, denen ich in der Notfallseelsorge begegnet bin, die auf dramatische Art ihr Kind verloren haben. Ich denke an zwei Menschen in meinem Bekanntenkreis, ungefähr in meinem Alter, die gegen Jahresende die Diagnose einer schweren Leukämie mit eher schlechten Heilungsaussichten bekommen haben. Und an einige andere mehr. Ganz persönlich fällt meine Bilanz sehr gemischt aus. Aber ich weiß, dass ich mich wahrscheinlich verschluckt hätte und mir den Magen verdorben hätte, wenn ich alles Schlechte verschluckt und gegessen hätte, damit nur das Gute übrig geblieben wäre. Am Ende des Jahres 2009 bin ich froh, dass mich Paulus in den letzten Stunden begleitet. In seinem Brief an die Gemeinde in Rom schreibt er eben nicht, dass Christen immer alles Böse und Schlimme und Traurige und Schlechte verleugnen, ver-stecken und runterschlucken müssten, damit sie gute Christen seien. Er schreibt nicht, dass ein echter Christ immer lustig, immer fröhlich und immer gut drauf sein muss. Er schreibt nicht, dass das Leben eines Christen nur aus Sonnenschein-stunden bestehen wird und bestehen muss. Paulus schreibt etwas ganz anderes. Mit einem ehrlichen Blick auf das Leben will er mut machen. Und gerade am letzten Abend dieses Jahres finde ich das wunderbar. Im 8. Kapitel seines Briefs an die Römer schreibt er: Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns ver-tritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« Aber in dem allen über-winden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünf-tiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Ich liebe es an meinem christlichen Glauben, dass er mir nicht sagt: „Wenn dir im Leben etwas Schlimmes passiert, dann hast du etwas falsch gemacht und die Liebe Gottes nicht verdient.“ Ich liebe es, dass ich nicht so tun müsste, als müss-te ich im Glauben ein ganz anderes Leben leben und meine Wirklichkeit wäre etwas, das nichts mit dem Glauben zu tun hat. Paulus macht deutlich, dass Christen auch traurige und schlimme Erfahrungen machen. Er geht sogar soweit, dass er die Gefahr sieht, die darin steckt. Es gibt Momente und Er-fahrungen im Leben, die Menschen, auch wenn sie noch so fest im Glauben stehen, an der Güte und Liebe Gottes zwei-feln lassen. Für die einen sind das vielleicht Erfahrungen von Zwangsarbeit und Vertreibung, von Not und Hunger, von Toten durch Hunger, Kälte, und Krieg. Für andere sind das Krankheiten, die zu einem qualvollen Tod geführt haben oder führen. Oder böse Trennungen mit ganz vielen Scherben. Kinder, die sterben. Menschen, die helfen wollen, die aber darunter leiden oder diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen. Ich glaube, dass jedem von uns Momente einfallen, in denen der Glauben an einen lieben und gütigen Gott fragwürdig geworden ist. Wenn nicht aktuell im Jahr 2009, dann in ei-nem anderen Jahr des Lebens. Wenn Paulus schreibt: ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünf-tiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn, dann leugnet er nicht, dass es Erfahrungen der Gottesferne gibt. Paulus ermutigt die Christen in Rom – und auch mich heute – dazu, nicht in einem Scheinleben zu ver-harren, sondern für dieses Leben, das wir haben, auch mit seinen schweren Seiten, das Beste von Gott zu erwarten. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen! Gott hat alles für uns gegeben, seine ganze Liebe, seinen Sohn. Er ist Mensch geworden. Mit allen schönen Seiten, die es dabei gibt. Mit allem, woran man sich im Leben wirklich freuen kann. Aber eben auch mit der Erfahrung des Todes, der Verfolgung, des oft genug ja ungerechten Leides. Gott hat sich in Jesus dem nicht entzogen, er ist nicht weggelaufen, als es hart wurde. Deshalb die Zuversicht, die Paulus hat. Gott weiß, wie es ist, unten zu sein. Nichts kann uns von der Liebe trennen. Nichts. Letztlich auch nicht das, was gut läuft. Typisch, das mir wie-der mal zuerst das Schwierige, Schlechte und Traurige einge-fallen ist. Die meisten Menschen denken wohl zuerst daran, wenn es um Erfahrungen geht, die den Glauben schwer ma-chen, die von Gott trennen könnten. Die dunklen Stunden des vergangenen und all der anderen Jahre, die keine Sonnenuhr zählen konnte. Aber ich glaube, dass auch die andere Erfah-rung es schwer machen kann, an Gott zu glauben. Wie war es denn in den guten Zeiten, die gut sichtbar im Töpfchen lie-gen, die ich gern den anderen präsentiere? Ich bin gewiss, dass weder Tod NOCH Leben, weder Hohes NOCH Tiefes uns von der Liebe Gottes scheiden kann, schreibt Paulus. Für mich mit Recht. Es sind manchmal eben auch die Erfolge, die es mir schwer machen, mit Gott zu rechnen und an Gott zu glauben. „Das habe ich jetzt doch verdient! Ich habe mich so eingesetzt, so hart dafür gearbeitet!“, so geht es mir dann durch den Kopf. Dass auch die schönen Momente im Leben, die vielen guten Erfahrungen Geschenke sind, für die ich dankbar sein kann und dass all die Möglichkeiten, die ich habe und nutzen kann auch ein Ausdruck der Liebe Gottes zu mir und meinem Leben sind – ich übersehe es immer wieder im Laufe des Jahres, im Laufe des Lebens. Manchmal blen-det die sonne, die die heiteren Stunden hervorruft, doch ziem-lich stark. Mir geht es nicht darum, jetzt zu sagen: „Ulrich, sie nicht so sicher und überheblich! Ihr Menschen in der Ge-meinde, genießt lieber nicht das Schöne, es kommt wieder anders!“ Im Gegenteil. wir haben jeden Grund, uns an allem Guten, was uns begegnet ist, zu freuen – so, wie wir auch über das wenig Schöne traurig sein können. Mir geht es dar-um, dass Paulus hier deutlich macht, dass weder unsere gele-gentliche Trauer noch unsere gelegentliche Überheblichkeit für Gott ein Grund ist, seine Liebe von uns zu nehmen. Nichts kann uns von Gott und seiner Liebe trennen. Gott steht auch da unverbrüchlich zu uns, wo wir unsere Schwie-rigkeiten haben. Gott sagt Ja zu unserem Leben. Zu dem Le-ben, das wir im zu Ende gehenden Jahr 2009 gelebt haben. Zu dem Leben, das uns im Jahr 2010 bevorsteht. Gott sei Dank. Amen

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Ich hab's doch nur gut gemeint - 1. Weihnachtstag 2009, Reihe II

Text: Titus 3,4-7
Liebe Gemeinde!
„Ich hab’ doch nur gut gemeint!“ Enttäuschung hat sich breit gemacht, wenn ich diesen Satz sage. In meinen Augen habe ich mein Bestes gegeben. Natürlich nicht für mich selbst, sondern für jemand anders. Meine Frau. Meine Eltern. Kon-firmanden. Aber die haben komischerweise gar nicht so rea-giert, wie ich mir das ausgemalt hatte. „Ich hab’s doch nur gut gemeint!“ – Vielleicht war dieser Satz ja heute Morgen auch schon im Himmel zu hören. Da meint es Gott gut mit den Menschen. Menschenfreundlich ist er. Er will uns Men-schen nicht länger damit quälen, dass wir die guten Regeln, die er für unser Zusammenleben gegeben hat, sowieso nicht richtig einhalten können. Er will uns nicht damit quälen, dass wir sowieso nicht gerecht werden können. Nein, er schenkt uns seine Freundlichkeit und Liebe. Und die schenkt er uns nicht irgendwie abstrakt, sondern in Jesus wird sie greifbar. Gott meint es gut. Er schenkt uns Liebe, er schenkt uns Gna-de und Vergebung, er schenkt uns Leben, das stärker ist als der Tod, er schenkt uns seinen Sohn. Wir feiern seinen Ge-burtstag, wir feiern, dass Gott uns freundlich entgegenkommt und uns liebt. „Ich hab’s doch nur gut gemeint“ – Ja, und dann gibt es gerade um dieses Geburtstagsfest der Liebe her-um Streit, Kriege, die immer noch nicht aufgehört haben. Menschen, die den Sinn dieses Festes in schöner Deko, gu-tem Essen und vielen Geschenken sehen. Menschen, die in diesen Tagen völlig verzweifeln, weil sie den Ansprüchen, die dieses Fest an die scheinbare Harmonie unter den Men-schen stellt, an das perfekte Leben, nicht genügen. Weil sie krank sind, allein, verzweifelt, abhängig oder, oder, oder. Menschen, die gar nicht mehr wissen oder gar nicht mehr wissen wollen, was da eigentlich gefeiert wird. Vorgestern war in der Frankfurter Rundschau eine große Doppelseite mit Zeichnungen von Grundschulkindern, die Weihnachten ge-malt haben. Ungefähr 30 Zeichnungen. Auf zwei Zeichnun-gen waren Engel zu sehen, eine davon stammt von einem türkischen Mädchen. Und nur auf einer einzigen eine Krippe. Auf allen Zeichnungen aber Tannenbäume, Rentiere, Weih-nachtsmänner und vor allem: Geschenkeberge. „Ich hab’ doch nur gut gemeint!“ – Ob im Himmel heute wohl Kater-stimmung herrscht? Ich glaube nicht.
Freundlichkeit und Menschenliebe, das ist es, was Gott durch Jesus in die Welt gebracht hat. Und dazu passt kein beleidig-ter Rückzug. Sie ist erschienen, so schreibt es der Titusbrief. Gott hat sozusagen den Vorhang weggezogen und hat sich gezeigt. Nicht als der, der Menschen schikanieren oder be-strafen will, sondern als der, dessen Liebe allen gilt. Als der, der durch Jesus alle Menschen einlädt, unabhängig von ihren Verdiensten. „Ich hab’s ja nur gut gemeint“ – wenn wir Men-schen diesen Satz sagen – und ehrlich gesagt, benutze ich ihn auch immer mal wieder, dann drückt sich darin Enttäuschung aus. Über andere, die nicht so sind, wie ich sie gern hätte. Und ein bisschen auch über mich. Darüber, dass ich es nicht geschafft habe, anderen das nahezubringen, was mir wichtig ist. Darüber, dass ich die anderen – meine Frau, meine Eltern, Kinder, wohl doch nicht so gut kenne, wie ich gedacht habe. Darüber, dass ich meine Grenzen ganz deutlich spüre. Von dieser Last der Selbstüberschätzung, von dieser Last der Freundlichkeit will Gott uns eigentlich befreien. Als aber er-schien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, machte er uns selig – nicht um der Werke der Ge-rechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit“ – Die Selbstüberschätzung, es mit allen gut meinen zu können und für alle gut machen zu müssen, nimmt Gott von uns. Ich bin nicht für dich Mensch geworden, ich habe dir nicht meine Liebe gebracht, weil du eine Belohnung für deine Vollkommenheit haben solltest, sondern damit du als Mensch leben kannst und menschlich sein kannst. Gottes Liebe zeigt uns immer wieder sehr deutlich unsere Grenzen – weil wir genau sehen, wo wir eben nicht zur Liebe fähig sind. Jetzt könnte man natürlich auf die Idee kommen, dass es dann ja keine Rolle mehr spiele, wie wir auf diese Liebe rea-gieren. Wenn Gott uns doch sowieso liebt und unsere Liebe Grenzen hat, dann können wir uns doch zufrieden in unserem Leben und in der Welt, so wie sie ist, einrichten. Dann müs-sen wir es mit niemandem mehr gut meinen und wenn es je-mand mit uns gut meint, können wir das ruhig ignorieren, wenn es uns nicht in den Kram passt. Hauptsache, Gott liebt uns. Ja, Hauptschache, Gott liebt mich. Und Weihnachten ist es unabhängig davon, wie viele Kinder und Erwachsene noch wissen, warum wir das feiern und wie viele Menschen in den Gottesdiensten sind und wie glücklich die Menschen sind und wie viel Frieden tatsächlich auf Erden ist. Aber können wir wirklich so tun, als ginge uns das alles nichts an? Wir können, aber dadurch entgehen wir nicht dem, dass wir schon längst mit hinein genommen sind in diese Liebesbewegung, in diese Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Lasse ich die Liebe zu und damit auch die Hoffnung oder ignoriere ich das so gut ich kann. Darum geht es, auch an Weihnachten. Lasse ich zu, dass ich geliebt werde? Zur Liebe gehört ja auch mit dazu, dass mir vor Augen geführt wird, was nicht in Ordnung ist. Liebe ist ja nicht das Bedingungslose Gutfinden von allem, was der, der geliebt wird. Liebe, die keine Gren-zen zur Lieblosigkeit setzt, ist keine Liebe sondern sie ver-hindert, dass der andere am leben wachsen kann und im Le-ben Orientierung findet. Liebe ermöglicht Orientierung. Lass ich das zu oder bleibe ich lieber im großen Feld der orientie-rungslosen Beliebigkeit, in dem jeder machen kann, was er will: Ich bin okay, du bist okay, wir haben Weihnachten, da sind wir alle lieb und haben uns alle lieb und lassen uns an-sonsten schön in Ruhe. Alles ist richtig, nichts ist falsch – nein, das ist nicht das Geschenk, das Gott uns gemacht hat. Das ist nicht die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Gott gibt uns Orientierung – und damit Hoffnung, dass nicht alles so bleibt, wie es ist. Er zeigt uns ein Ziel, dass unser Leben in seiner Liebe hat. Wie diese Orientierung aussieht, darüber waren und sind Menschen immer wieder aneinander-geraten und an ihre menschlichen Grenzen gestoßen. In den Zeiten, in denen der Titusbrief geschrieben wurde – und ei-gentlich bis heute – sehen viele die Orientierung darin, dass Menschen in feste Ordnungen gebracht sind mit einem Oben und Unten. mit Menschen, die anderen, in Gottes Namen, sagen, wo es lang geht und solchen, die gehorchen müssen. Mit Männern, die das Wort Gottes verkünden und Gemein-den leiten und Frauen, die zuhören und sich um die Familie kümmern sollen. Im Namen Gottes. Andere sehen, seit diese Ordnungen Gott sei Dank fraglich geworden sind, die Orien-tierung darin, dass sie mit aller Gewalt versuchen, die Men-schenfreundlichkeit Gottes zu kopieren. Immer fröhlich, im-mer freundlich, immer lächeln – aber wehe, Menschen lassen sich davon nicht anstecken! Wehe, Menschen weigern sich, genauso zu leben, genauso zu glauben. „Ich hab’s doch nur gut gemeint! Ich war freundlich zu dir, ich hab dich so ge-liebt, wie dich sonst nur Gott leiben kann -wenn du anders bist, hast du die Liebe nicht verdient!“ Menschen sollen in bestimmte Richtungen zu glauben gezwungen werden, weil andere denken, sie wüssten genau, wie Gottes Liebe und de-ren menschliche Weitergabe auszusehen habe. Ich glaube, dass wir Weihnachten dann richtig gut feiern können, wenn wir uns davon frei machen, dass wir glauben, wir Menschen könnten die richtige Ordnung im Sine Gottes herstellten. Gott hat uns gezeigt, auch durch Jesus, auch durch seine Geburt im Stall, auch dadurch, dass die Hirten und nicht fromme Priester die ersten waren, die ihn sahen, dass seine Liebe immer wieder unsere Pläne durchkreuzt. Klar, wir Menschen können lieben und Freundlichkeit weiterschenken. Klar, „Ich hab’s doch nur gut gemeint“ – und manchmal hab ich’s ja nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht. Aber die Gnade liegt eben nicht darin, dass wir durch unsere Ordnun-gen oder unsere Taten die vollkommene und menschen-freundliche Welt Gottes herstellen könnten und müssten, sondern dass wir durch Jesus nicht nur die Bedürftigkeit der Welt sondern auch unsere eigene Bedürftigkeit sehen und annehmen können. Dass wir das, was wir können, weiter-schenken, auch Liebe, ohne dass wir Ansprüche stellen müss-ten. Die Gnade liegt darin, dass wir hoffen dürfen. Hoffen darauf, dass wir es nicht nur gut meinen müssen, sondern dass Gott es gut machen wird. Nicht nur mit uns, sondern mit er ganzen Welt, mit seiner Schöpfung. Die Hoffnung liegt darin, dass das, was Weihnachten seinen Anfang genommen hat, die Erscheinung der Menschenliebe Gottes, nicht durch Menschen kaputt gemacht wird, sondern sich durchsetzt. Dass nicht die Zerstörung der Schöpfung durch menschliche Gedankenlosigkeit, dass nicht die Zementierung er Armut in der Welt durch den Egoismus der Reichen, zu denen wir ja auch gehören, dass nicht die Zerstörung des Lebens durch Unmenschlichkeit, Egoismus und Krieg am Ende wirklich den Sieg behält, sondern dass der Anfang, den Gott gemacht hat, durch ihn und mit uns zu einem guten Ende führt, an dem sich da leben, Frieden und die Gerechtigkeit wirklich durchsetzen. „Ich hab’s doch nur gut gemeint“- auch mit me-iner Predigt. Aber Gott hat es längst gut gemacht. Nicht nur für mich, nicht nur für uns in unseren Kirche, sondern für alle Welt.
Amen

Alle Jahre wieder...- Christmette 2009

Liebe Gemeinde!
Alle Jahre wieder! Weihnachten ist’s. Heilige Nacht. Alle Jahre wieder. Vertraute Menschen und Lieder. Essen und Be-scherung. Worte aus der Bibel. Das war doch schon immer so! Weihnachten, das ist so vertraut und das soll doch auch so sein. Das gibt Sicherheit. Heimat. Alle Jahre wieder das Gleiche. Oder auch nicht. Der Heilige Abend, der ist alle Jah-re wieder am 24. Dezember. Aber sonst? Für manche Men-schen in unserer Gemeinde, vielleicht auch hier im Gottes-dienst, ist dieses Fest eben nicht wie „alle Jahre wieder“. Es ist das erste Fest in der neuen Heimatstadt. Das erste Fest als eigene Familie. Das erste Fest mit dem Kind, das in diesem Jahr zur Familie hinzugekommen ist. Das erste Fest mit dem neuen Freund, der neuen Freundin. Das erste Fest, an dem man die Geschenke mit selbstverdientem Geld bezahlen konnte. Der Jubel mit de himmlischen Heerscharen – ja, viel-leicht ist der in diesem Jahr besonders laut und fällt beson-ders leicht. Oder er fällt aus. Der Jubel. Weil es das erste Fest ohne ist. Eben nicht alle Jahre wieder. Ohne einen geliebten Menschen, der im letzten Jahr starb. Ohne Arbeit. Ohne Geld. Ohne das Gefühl, gebraucht zu werden. Ohne die Kin-der, die längst ihre eigenen Wege gehen, und das jetzt auch noch zu Weihnachten. Alle Jahre wieder. Gut, dass es nicht so ist! Ach, es wäre schön, wenn es so wäre! Gut, dass es so ist! Ach, es wäre schön, wenn es anders wäre! Vermutlich gibt es von alldem etwas heute, in dieser Heiligen Nacht hier bei uns. Und vermutlich gibt es das auch im Blick auf ds Lied, das wir gerade gesungen haben. Ein kindliches Lied. Ein Kinderlied. Erinnerungen an eine schöne Zeit, an Ver-trautes. Oder für manche vielleicht auch doch dem Gehalt des Festes nicht angemessen oder zu kitschig.
Verwirrend und verwirrt – so komme ich mir, so kommen mir Menschen an diesem Abend, in dieser Nacht manchmal vor. Als sei es schwer, es Weihnachten allen recht zu machen und Weihnachten alles richtig zu machen. Und weil das so ist, ist für mich das Lied, das wir eben gesungen haben, in den letzten Jahren zu meinem Weihnachtslied geworden. Weil es en unglaublichen Trost der Weihnachtsbotschaft in unglaublich einfache Worte fasst.
Alle Jahre wieder – egal, wie es mir gerade geht. Egal, was gerade in der Welt los ist. Egal, ob ich mich vorbereitet, Ge-schenke gekauft, geputzt und geschmückt habe oder ob ich mit einer Flasche Schnaps allein zu Hause sitze – alle Jahre wieder lässt Gott seine frohe Botschaft laut werden. „Kommt das Christuskind“ – kein Weihnachtsmann, keine Fantasyfi-gur, die am Nordpol oder wo auch immer wohnt, keine Mär-chenfigur, sondern ein Kind. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, in dem Gott sich zu erkennen gegeben hat. Und dieses Christuskind kommt nicht irgendwo hin, sondern „auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind“. Gott bleibt nicht fern. Er geht dahin, wo es unbequem wird, wo wir Menschen sind. Nicht in eine ideale Welt. Wir Menschen. Mit unseren Ängs-ten und Freuden. Mit unserer Schuld und dem, was wir an Gutem machen. Er kommt in diese Welt, die wir so oft nicht verstehen, weil vieles nicht zu verstehen ist. In eine Welt, in der es Hunger und Unrecht, Krankheit und Armut, Egoismus, Hass und Krieg gibt. Er kommt nicht, weil wir so toll sind. Sondern einfach aus Liebe zu uns. Diese Welt ist der richtige Ort für das Christuskind. Und was macht es? „Kehrt mit sei-nem Segen ein in jedes Haus.“ Da wird es mir nicht nur am Richtsberg schwer mit dem Singen. Kaputte Familien und Beziehungen. Eltern, die ihre Kinder vielleicht nicht unbe-dingt äußerlich, aber seelisch verwahrlosen lassen. Kinder, die ihren Eltern das Leben schwer machen. Armut. Und ganz viel Gleichgültigkeit. Heute Abend in ganz vielen Häusern. Nicht nur auf dem Richtsberg, im Waldtal, im Stadtwald. Nicht nur in den Krisengebieten dieser Welt. In viel zu vielen Gegenden auch, in denen man es nicht vermutet und nicht sehen will. Ich glaube, wir brauchen das „alle Jahre wieder“. Der Segen ist nicht immer in jedem Haus, in jeder Wohnung zu spüren. Gott gibt nicht auf. Wieder und wieder geht er hin und bietet seinen Segen an, legt seinen Segen auf die Men-schen, bis sie stark genug sind. Bis sie stark genug sind, wirklich mit Gott zu gehen. „Geht auf allen Wegen mit uns ein und aus.“ Gott lässt uns Menschen auch auf den Umwe-gen und Abwegen nicht allein. Dieses Kind, in dem Gott in das Leben der Menschen gekommen ist, ist ja gerade zu den Menschen gegangen, deren Wege nicht gerade und leicht wa-ren. Auf allen Wegen will dieser Mensch gewordene Gott uns begleiten. Nicht weil er alle Wege gut findet. Liebe heißt auch, nicht nur das Schöne und Einfache mitzumachen. „Steht auch mir zur Seite“ – Durch Jesus wird Gott Gott für mich – nicht nur für die anderen, nicht nur für die, die Be-dürftiger, Ärmer, Reicher, Notleidender, Frommer oder was auch immer sind. Für mich. „Still und unerkannt!“ – Das ist für mich eine ganz wichtige Einsicht, nicht nur einmal son-dern alle Jahre, alle Tage wieder. Gott ist nicht der, der mit spektakulären Aktionen sofort für alle eindeutig zu erkennen ist. Im Alltag nehmen wir, nehme ich ihn oft genug nicht wahr. Jesus, Gottes Liebe scheint manchmal wirklich weit weg zu sein. Irgendwie ist die Liebe im Alltag abhanden ge-kommen. Mir kommt es vor, als würde das Gedicht von Jean Anouilh, das eben vor dem Lied gelesen wurde, auch unsere Gegenwart beschreiben. Eben war er doch noch da. Und dann sind andere Dinge in den Vordergrund getreten, auch zu Weihnachten. Da hat man auf Vertrautes und Äußeres geach-tet, da sollte alles sein wie immer – es war auch alles da, aber das Entscheidende fehlte. Weil es, weil er still und unerkannt ist. Weil er nicht Deko ist, sondern Herzen lebendig machen will. Durch Liebe, nicht durch Schock und nicht durch Scho-kolade. Wir brauchen es immer wieder, alle Jahre wieder, diese Erinnerung, dass Gott schon längst da ist. Dass er zu uns kommt, lange bevor wir uns überhaupt zu ihm aufma-chen. Dass er schon längst unsere Wege mitgeht. Und uns zu einem Ziel hinführen will. Dieses Ziel ist ein Ende der Hoff-nungslosigkeit, ein Ende der Armut, ein Ende der Ungerech-tigkeit, die wir heute noch erleben. In den Herzen der Men-schen, die darunter leiden, will Gott sein und ist er. Weil er in dem Kind in der Krippe sich selbst arm in diese Welt ge-bracht hat. Weil er als Mann Jesus zu denen ging, die keine Hoffnung hatten. In einem auf den ersten Blick ganz unweih-nachtlichen Brief an Titus drückt Paulus das so aus: Tit 2,11 Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Men-schen 12 und nimmt uns in Zucht, daß wir absagen dem un-göttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und beson-nen, gerecht und fromm in dieser Welt leben 13 und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Un-gerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.
Die Gnade Gottes für alle Menschen – auf der Erde, wo wir Menschen sind. Aber nicht, damit alles alle Jahre wieder so bleibt, wie es ist, sondern damit wir seinen Segen in unseren Häusern wachsen lassen und uns an der Hand nehmen lassen, auf einen Weg, der zu Gerechtigkeit führt. Auf einen Weg, der uns Menschen dazu anstiftet, zu leben, weil er für uns und mit uns lebt. Nicht nur an den Weihnachtstagen, nicht nur einmal. Sondern alle Jahre wieder. Jeden Tag neu. Gott kommt. Damit die Welt sich ändert. Ein Anfang ist gemacht. Aber wir brauchen noch Zeit. Damit Weihnachten ist. Heilige Nacht Alle Jahre wieder. Nicht nur in der Nacht vom 24. auf den 25.12., sondern in jedem Leben an jedem Tag. In mei-nem Leben. Alle Jahre, alle Tage wieder.
Amen.

Frohe Weihnachten!


Liebe Menschen, die ihr diesen Blog lest! Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten. Leider ist mir meine Festplatte abgestürzt, so dass ich nicht alle meine Weihnachtspredigten online stellen kann. Christmette und 1. Weinachtstag sind noch da, Christvesper und Krippenspiel fehlen. Ersatzweise aber eine kleine Betrachtung zur "Maria im Hof" von Martin Schongauer:
Vermutlich ist es ganz schön unbequem in dem leeren, ummauerten Hof, in dem sich die Mutter und das Kind niedergelassen haben. Ausgerechnet neben einem völlig entlaubten Baum! „Das geht doch nicht“, mag mancher vielleicht bei sich denken. Weihnachten, das schreit doch förmlich entweder nach drangvoller Enge und prallem Leben in einem Stall oder nach der Fülle und dem Überfluss der himmlischen Heerscharen. Aber die Mutter und das Kind auf dem Kupferstich von Martin Schongauer scheinen trotzdem zufrieden zu sein.
Die Welt ist kein idealer Ort. Sie war es nicht in der Provinz am Rande des römischen Reichs „zu der Zeit, da ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde“. Sie war es nicht im ausgehenden 15. Jahrhundert, in der Zeit, in der der Künstler dieses Werk gestaltete. Heute ist sie es erst recht nicht. Bewaffnete Friedenseinsätze, die eigentlich Kriegseinsätze sind, haben vielleicht Schlimmeres verhindert, aber Frieden haben sie nicht gebracht. Zehntausende von Arbeitsplätzen sind bedroht, Familien in unserem reichen Land werden Weihnachten mit bangen Gefühlen feiern. Es scheint auch nur eine unaufhaltsame Frage der Zeit zu sein, bis Südseeparadiese von den Landkarten und Eisbären von den Eisschollen verschwunden sein werden. Leben wird in vielfacher Hinsicht karger, zumindest hat es diesen Anschein.
Genau einen solchen Ort sucht sich das Kind, in dem Gott in dieser Welt erscheint, aus. Schönheit mitten im Kargen. Schönheit, Liebe, die die Kraft zur Veränderung und des neuen Lebens in sich trägt. Die Mutter präsentiert dem Kind diese Welt und es scheint nicht nur nachzusinnen über das, was es umgibt. Es sieht so aus, als hätte es etwas im Blick, das diese Tristesse verändern und dem kahlen Baum Leben einhauchen kann. Ein Bild der Hoffnung. Nicht die Flucht in die Idylle, sondern die Begegnung mit der Wirklichkeit verändert sie. Gott setzt sich dieser Welt aus. Damit wir nichts beschönigen und fliehen müssen, sondern die Kraft gewinnen und behalten, in dieser Welt zu leben. Damit wir aus der Hoffnung auf den Aufbruch Kraft schöpfen, selbst aufzubrechen.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Geduld nicht verlieren?! - 2. Advent, 6.12.2009, Reihe II

Text: Jakobus 5,7+8
Liebe Gemeinde!
Eine Familie im Advent. Die Wunschzettel sind schon längst geschrieben. Neue Spiele für die Spielekonsole, DVDs mit tollen Filmen. Ein i-Pod, sollte es natürlich auch sein. Das Original natürlich, keine Kopie von einer anderen Marke. Klar, das Geld ist in diesem Jahr knapp, haben die Eltern ge-sagt. Teure Geschenke sind nicht drin. Nur Kleinigkeiten. Und dann kurz vor Weihnachten. Die Erwachsenen sind aus dem Haus, Einkäufe machen. Das Kind allein. Die Gelegen-heit ist da. Werden meine Wünsche erfüllt? Warum bis Weihnachten warten, wenn ich es jetzt gleich wissen kann! Die Neugier siegt. Im Schlafzimmer der Eltern, unter den Betten, auf dem Wohnzimmerschrank. Überall wird nachge-schaut. Nirgends ist was zu finden. Als letzte Idee kommt noch der Putzschrank in Frage. Und tatsächlich. Hinter den Eimern und Putzmitteln sind zwei Spiele für die PS3 und ein nagelneuer i-Pod. Super! Schnell noch alles so hinstellen, wie es war. Die Eltern sollen ja nichts merken. Und dann, ein paar Tage später, Heiligabend. Bescherung. Die Eltern, die lange für die teuren Geschenke gespart haben, schauen sich lächelnd an. Sie freuen sich auf die Freude und Überraschung des Kindes. Und das packt mit einem schlechten Gewissen aus. Wie kann ich jetzt Freude darstellen? So geht es ihm durch den Kopf. Ich muss mich freuen. Aber ich weiß doch schon längst was drin ist. Ob ich nicht doch hätte warten sol-len? Aber die Versuchung war doch so groß… Die Eltern wundern sich nur, warum ihr Kind, das sonst das Papier nie schnell genug aufreißen konnte, plötzlich so viel Geduld beim Auspacken hat.
Geduld. Dazu zwei Verse aus dem Jakobusbrief in einer neueren Übersetzung:
Geduldet euch nun, meine Schwestern und Brüder, bis Jesus kommt! Auch diejenigen, die vom Acker leben, erwarten die kostbare Frucht der Erde so, dass sie sich gedulden und auf den Regen im Frühling und im Herbst warten und darauf, dass frühe und späte Früchte reif werden. Geduldet euch! Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!
Geduld. Die Zeit wird kommen. Mit der Geduld ist es aber so eine Sache. Wir leben in einer Zeit, in der alles sofort passieren muss. Nikoläuse, Weihnachtsgebäck und mehr werden ab September, spätestens aber im Oktober in die Regale ge-räumt. Im Dezember mag man sie fast schon nicht mehr se-hen. Wenn die Krankheit nicht schnell besser wird, wird der Arzt gewechselt oder das Medikament einfach abgesetzt. Nutzt ja doch nichts. Wenn das Kind nicht am Ende der Kindergartenzeit seinen Namen schreiben und einfache Wörter lesen kann, bricht die Panik aus. So wird es ja nie aufs Gym-nasium gehen, denkt man. Geduld. Dingen und Menschen Zeit lassen, sich zu entwickeln? Das scheint von vorgestern zu sein. Jedes Obst, jedes Gemüse das ganze Jahr über frisch auf den Tisch, notfalls von weit her eingeflogen. Die Zeit reif werden lassen – wer hat denn dafür noch Zeit? Rentner? Von wegen, die haben ja auch einen vollen Terminkalender. Wer Zeit hat, taugt nichts. Der arbeitet bestimmt nicht richtig! Und wenn sich doch mal eine Zeitlücke auftun sollte – Gott bewahre! – dann wird da Sporttraining oder irgendwas ande-res reingequetscht. Müßiggang ist schließlich aller Laster An-fang und Geduld doch nur eine Form davon, oder etwa nicht? Haben sie eigentlich noch Geduld mit mir oder warten sie drauf, dass ich endlich fertig werde? Geduld wird ja manch-mal auch überstrapaziert und missbraucht. Von Predigern. Während der Predigt läuft eben niemand einfach so weg. Aber manchmal auch viel dramatischer im Namen Gottes. Du musst Geduld haben, das ist alles eine Prüfung Gottes! Kran-ke kriegen so etwas durchaus mal zu hören. Geduld kann ein wichtiger Faktor sein, wenn es darum geht, wieder gesund zu werden. Oder wenn es darum geht, sich mit einer Situation, die nicht zu ändern ist, abzufinden und möglichst viel Gutes aus ihr zu machen. Aber wenn ich Geduld und Gott missbrauche, um anderen zu verbieten, sich zu beschweren oder meine eigene Faulheit, mich für sie einzusetzen, zu verde-cken, wird es schwierig. Es ist immer die Frage, wer von Geduld, die nötig ist, redet. Als Gesunder ist es leicht, von einem Kranken Geduld zu fordern. Als Reicher ist es leicht, einen Armen um Geduld zu bitten. Als Mächtiger, als Politiker, Befehlshaber, Chef, ist es leicht, von seinen Untergebenen Geduld zu fordern. Immer dann, wenn ich selbst nicht betroffen bin, muss ich mir dreimal überlegen, ob ich einem anderen zu Geduld raten kann.
Glaubhaft und glaubwürdig kann ich das nur tun, wenn ich selber gespürt habe, dass Geduld gut tut. Bevor die Aufforde-rung zur Geduld im Jakobusbrief kommt, die ich eben vorgelesen habe, geht es darum, dass Gott sehr wohl sieht, was Reiche und Mächtige Armen antun. Gott steht klipp und klar auf der Seite der Armen. Wo Unrecht ist, wo geklaut wird, wo der Wert von Menschen nach ihrer Kleidung und ihrem Schmuck gemessen wird, überall da ist Gott nicht zu finden. So steht es da in der Bibel. Für mich aktuell bis heute. Die Aufforderung, Geduld zu haben, heißt für mich nicht: Bleibt Opfer! Sie heißt: Passt auf, dass ihr nicht die gleichen Me-thoden anwendet und euch dadurch selbst ins Unrecht setzt. Ungeduld vernebelt oft genug die Sinne.
Wir Menschen sind auf Geduld angewiesen. Auch wenn es oft genug schwer fällt. Unreife Früchte, vor der Reife gepflückt, schmecken nicht und verderben vielleicht sogar den Magen. Warten, bis die Zeit reif ist – das fällt schwer. Aber Leben braucht Zeit. Und Geduld. Wir leben zum Beispiel von der Geduld, die Gott mit uns hat. Wenn Gott uns nicht durch Jesus immer wieder Vergebung und einen Neuanfang schen-ken würde – wer könnte dann überhaupt bestehen? Wir brau-chen uns doch nur einmal das anzuschauen, was Jesus als die Zusammenfassung aller Gebote uns mitgegeben hat: „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Wenn ich ihnen jetzt aufzählen würde, wie oft ich bei anderen Menschen denke: „Gut, dass ich mit dem nichts zu tun haben muss“ – sie würden wahrscheinlich erst zum Kaffeetrinken hier raus kommen. Gott hat mit uns die Geduld, die wir miteinander und mit uns selbst oft nicht haben. Gerade auch mit uns selbst: „Ich muss das doch können! Alle anderen schaffen das, nur ich bin zu blöd!“ Mit mir selbst bin ich oft viel un-geduldiger als mit anderen. Gott sagt durch Jesus zu uns: „Du musst nicht alles von dir selbst erwarten, aber du darfst alles von mir erwarten!“
Geduld ermöglicht und festigt Beziehungen. Wenn Eltern Kindern nicht mit Geduld begegnen, werden sie nicht in Si-cherheit und Geborgenheit aufwachsen. Sie werden immer das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein und nur dann was wert zu sein, wenn sie richtig funktionieren. Ohne Geduld kann Vertrauen nicht wachsen. Für mich gehört da auch das verhindern von Überraschungen durch Ungeduld dazu. Das Stöbern nach Geheimnissen und das Aufdecken um jeden Preis. Der andere – mein Mann, meine Frau, mein Kind, mein Vater, mein Freund… - lässt mir meine Geheimnisse. Er lässt zu, dass für alle Seiten schöne Überraschungen und Momente erst entstehen können. Ein tolles Gefühl, wenn es klappt. Liebe braucht Geduld. Wer ständig den neuen Kick sucht, wer einen Beziehung nach der anderen anfängt, Schluss macht, wenn der Alltag einkehrt, der wird nicht er-fahren und erleben, wie tief und haltbar Liebe sein kann. Wie viel Halt Liebe geben kann. Ohne Geduld werde ich haltlos. Beziehungen braucht Geduld, Liebe braucht Geduld, Vertrauen braucht Geduld – und nicht zuletzt braucht auch der Glauben Geduld. Zum einen, wie gesagt, natürlich die Geduld, die Gott aufbringt, mit der er uns nicht auf unsere Feh-ler, auf unser Versagen festnagelt. Zum anderen aber auch Geduld von uns Menschen. Jesus kommt bald – nach 2000 Jahren fällt es schon schwer, geduldig zu bleiben. In den letz-ten Jahrtausenden ist das menschliche Miteinander nicht un-bedingt besser geworden. Viel zu viel lässt uns das Warten auf eine Verwandlung der Welt schwer werden. Aber welche Alternative haben wir? Weg mit dem Vertrauen, weg mit der Liebe, bringt ja nichts und die Welt auch durch jeden von uns noch härter, egoistischer und schlechter werden lassen? Ist das wirklich eine Alternative? Ich glaube, dass Gott noch gute Überraschungen für uns bereit hält und wir uns etwas verderben, wenn wir alles erzwingen wollen. Geduldet euch! Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald! Amen.