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Donnerstag, 31. Juli 2008

Und wo ist die Moral? - 11. Sonntag n. Trinitatis, Reihe VI

"Wünsch-Dir-Was-Predigt" Ist es gerechtfertigt sich in Fragen der Moral auf einen göttlichen Willen zu berufen?
Text: 2. Samuel 12,1-10+13-15a

Liebe Gemeinde!

Wer sagt einem eigentlich, was richtig und was falsch ist? Weiß man nicht selbst oft ziemlich genau, was richtig und was falsch ist? Natürlich! Es ist doch vernünftig und für jemanden, der nicht krank ist, ganz einfach einzusehen. Es ist falsch, Schwachen etwas wegzunehmen, nur weil der Starke keine Lust hat, von seinem Reichtum etwas abzugeben. Die Geschichte, über die König David hier urteilen soll, mit dem geschlachteten Schaf, die hätten wir wohl alle genauso entschieden. Das geht ja wohl gar nicht, dass der Reiche sich einfach vom Armen nimmt, was er gerade will! Aber ist es wirklich so natürlich und vernünftig? König David, eben noch empört über die Bosheit und Frechheit des Reichen, den er am liebsten zum Tode verurteilen würde, spricht das Urteil über sich selbst. Er, der hier so vernünftig und menschlich denkt, hatte keine Skrupel, als er eine schöne Frau beim Baden sah. Er wusste, dass sie verheiratet war und er hatte mehr als nur eine Frau. Aber warum soll er nicht die Gelegenheit nutzen? Er ist ja der König, er lässt sich die Frau bringen, schwängert sie und als der Versuch scheitert, dem betrogenen Ehemann, der noch dazu einer seiner treusten Soldaten war, das Kind unterzujubeln, lässt er ihn einfach umbringen. Er hatte die Macht dazu. Was bringt einen dazu, die Macht, die man hat, nicht einfach auszunutzen? Die Angst vor Strafe? König David soll von Gott seine Strafe bekommen. So wird es ihm von Nathan, dem weisen Propheten, gesagt. Aber ist das nicht unbefriedigend und traurig, wenn nur die Angst vor Strafe regiert? Uria, der im Auftrag Davids ermordete Mann seiner Geliebten, der bleibt tot, egal wie hart David bestraft wird. Und die Angst vor Strafe, die heißt ja nicht, dass jemand das Verhalten, das zur Strafe führt, falsch findet. Man verzichtet halt drauf, weil man keine Lust auf Scherereien und Strafe hat. Man klaut halt nicht bei Edeka, wenn zu viele Leute rundum stehen und die Videokamera es vielleicht aufnimmt. Man will ja nicht erwischt werden. Aber wenn’s keiner merkt: Warum nicht?

Brauchen wir überhaupt Strafe? Eigentlich weiß doch König David, dass er falsch gehandelt hat. Und ein Ladendieb weiß das genauso wie jemand, der andere betrügt. Muss der Mensch nicht nur einfach mal seine Vernunft gebrauchen? Aber, und da bin ich wieder ganz am Anfang: wer sagt denn der Vernunft, was richtig und was falsch ist? Gott? Oder: die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer? Aber woher wissen die es? Die Gesellschaft, die Kultur, in der man aufwächst? Aber woher weiß die es? Oder ist so was ganz natürlich einfach im Menschen drin? David beruft sich ja gar nicht auf irgendwelche göttlichen Regeln und Gebote, als er den Reichen in der Geschichte, die Nathan ihm erzählt, verurteilt. Er weiß scheinbar von allein, was gut und richtig ist. Aber nicht nur König David aus der Bibel, sondern wir Menschen überhaupt sind ziemlich schnell überfordert, wenn wir nur mit unserer Vernunft sagen sollten, was gut und böse, richtig und falsch ist und dann danach handeln sollten.

Es war kein böser Wille und keine Unmenschlichkeit, die vor fast 100 Jahren Kommunisten dazu getrieben hat, in Russland den Zaren zu stürzen. Bauern, die als Leibeigene unter unwürdigsten Bedingungen lebten, sollten befreit werden. Menschen sollten frei werden - mit Hilfe der Vernunft, die sie dazu führen sollte, gut zu werden. Ganz schnell wurde daraus eine menschenverachtende und vernichtende Diktatur.

Andere sagen, man soll es doch dem freien Markt von Angebot und Nachfrage überlassen, was aus dem Menschen wird. Je weniger der Staat, die Kirche oder andere Institutionen, je weniger Gott oder Ideologien etwas regeln, desto besser wird sich die menschliche Freiheit entfalten. Hört sich vielleicht gar nicht so unvernünftig an, aber den Preis für Freiheit und Wohlstand weniger Starker zahlen in einem solchen System Millionen Menschen, die schwächer sind, sich nicht durchsetzen können, die in die falschen Gegenden der Welt hineingeboren wurden, die alt, krank, behindert sind oder die einfach die falsche Schule besuchen.

Wir kommen nicht weiter mit unserer Vernunft. Auch nicht mit so schönen Sätzen wie „was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“ Was ist, wenn ich es mag, dass mir Schmerzen zugefügt werden oder wenn ich für mich Blutspenden und Organtransplantationen ablehne? Soll mein Wille dann auch noch Gesetz sein? Selbst wenn ich es in Anlehnung an den Philosophen Kant mit dem Satz halte „Handle so, dass dein Tun für jeden Menschen zu jeder Zeit an jedem Ort Handlungsanleitung sein kann“ - was hätte ich gewonnen? Nicht so viel, weil ich doch gar nicht den Überblick habe und zu allen Zeiten an allen Orten das Richtige kenne und weiß.

Also: was können wir tun? Gar nichts und die Hände in den Schoß legen? Machen, was wir wollen? Oder uns einfach Gesetzbücher als Autorität holen und sagen: da steht es drin und so mache ich es. Und dann ist es gut. Aber wer beschließt Gesetze? Auf jeden Fall gab - und gibt - es Gesetze, die wirklich unmoralisch waren oder sind. Die Gesetze zum Beispiel, die im Nationalsozialismus dazu geführt haben, dass Juden, politische Gegner, engagierte Christen und noch viel mehr Menschen vernichtet wurden. Oder ein neues Gesetz in Italien, das besagt, dass der Regierungschef selbst dann nicht angeklagt werden darf, wenn er eine Straftat begangen hat. Ich will das nicht auf eine Stufe stellen. Das erste ist unvergleichlich viel schlimmer. Mir geht es darum, dass das Problem unmoralischer Gesetze nicht durch freie Wahlen gelöst wird. Der Mensch ist in seiner Vernunft begrenzt.

Also doch göttliches Gesetz und tun, was in der Bibel steht? Es wundert sicher nicht, dass ich als Pfarrer in der Kirche da schon eine gute Richtung sehe. Aber ganz so einfach ist es nicht. Leider. Schon Jesus wurde auch als Gesetzesbrecher gesehen und angeklagt, weil er die Regeln in der Bibel auslegte. Er hat am Ruhetag Menschen geheilt und Hunger gestillt - für viele fromme undenkbar! Und wir finden heute auch nichts dabei, Schweinefleisch zu essen, Milchprodukte und Fleisch zusammen zu essen - alles Dinge, die in der Bibel verboten werden. Dafür finden wir, dass es gegen Gottes Gebote verstößt, mehr als eine Frau zu haben, obwohl das zu Zeiten von König David erlaubt war. Was gilt nun? Wir sehen, dass manche Gott zugeschriebenen Anweisungen zum guten und richtigen Leben scheinbar überholt sind. Und für viele Lebenssituationen heutzutage steht einfach nichts direkt in der Bibel. Damals gab`s keine Autos und Flugzeuge, nicht die Möglichkeit per Fernsehen und Internet sich zu informieren. Es gab keine Massenvernichtungswaffen und keine Chemieindustrie. Keine Gentechnik und keine Intensivmedizin. Wenn ich Jesus ernst nehme, dann gibt es kein starres Konzept von Handlungen, die richtig sind, sondern es muss immer wieder gefragt werden: Was ist in diesem Moment, für diesen Menschen das Richtige, durch welches Tun und Lassen werden Menschen untereinander und mit Gott in diesem Moment ins richtige Verhältnis gesetzt?

Dafür sind ein paar Einsichten ganz wichtig:

1. Kein Mensch verdankt sein Leben sich selbst. Und kein Mensch hat sein Leben vollkommen in der Hand.

2. Gott ist ein Gott des Lebens. Das ist von Anfang an klar. Er will Menschen immer wieder auf den Weg zum Leben führen und dazu hat er sich in Jesus offenbart.

3. Die Zehn Gebote und alle anderen Regeln in der Bibel, die gutes Zusammenleben betreffen, dienen immer dem Schutz des schwachen Lebens vor dem Starken, setzen der Macht und der Stärke Grenzen, damit das Recht des Schwächeren gewahrt bleibt.

Richtig ist deshalb ein Tun und Lassen - manchmal kommt’s ja nicht drauf an, etwas zu machen, sondern etwas bleiben zu lassen - das darauf ausgerichtet ist, dem Leben zu dienen. Gott ist nicht der Gesetzgeber, der die einzelne Verhaltensregel aufstellt, sondern der Schöpfer des Lebens. Als solcher steht er hinter der Forderung nach richtigem Tun und Lassen. Beim praktischen Handeln, da sind wir durchaus auf unsere Vernunft angewiesen. Auf unsere Fähigkeit, nachzudenken, sich einzufühlen. Deshalb kann David ja so klar sagen, was falsch ist, ohne gleich Gebote zu zitieren. Weder das Verhalten des reichen Mannes noch sein eigenes Verhalten haben dem Leben gedient. Aber nicht nur David und der reiche Mann aus der Geschichte sind schuldig geworden. Wir merken ja selbst immer wieder, dass wir oft genug weder uns selbst noch andere wirklich zum guten Leben bringen, geschweige denn, dass wir dabei an Gott dächten. Wir sind immer wieder auf Vergebung angewiesen, auf Gottes Gnade vor allem Recht. Weil wir uns und vor allem anderen nicht wirklich gerecht werden können. Denn weil ich im anderen Menschen nicht ganz und gar aufgehe, seine Gedanken und Bedürfnisse nicht genau kennen kann, kann ich ihm auch nie 100% gerecht werden. Und er mir auch nicht. Versöhnung mit Gott und den Menschen, das brauchen wir. Damit wir nicht zerbrechen, sondern in unserem Tun und Lassen dem Leben dienen können. Es geht nicht um Moral. Moral ändert sich. Wir leben heute anders als vor 100 Jahren, ganz anders als zur Zeit von König David. Es geht um das Leben. Damals wie heute. Es geht nicht um vorgefertigte Muster von richtigem Tun, nicht darum, Gott einen Gefallen zu tun, sondern Leben zu gewinnen und zu behalten. Amen.

Donnerstag, 17. Juli 2008

Willkommen in der VIP-Lounge! 9. Sonntag n. Trinitatis, Reihe VI

Text: 1. Petr 4,7-11

Liebe Gemeinde!

Alles wird immer teurer! Wie lange werden wir noch im Winter die Wohnungen heizen können, Busfahrkarten und Benzin bezahlen können, oder uns gutes Brot und gute Lebensmittel leisten können? Öl, Gas, Wasser, Lebensmittel - alles wird immer knapper. Milliarden Chinesen und Inder werden uns überrollen, überholen oder wenigstens mit uns um die immer weniger werdenden Vorräte streiten. Es werden wieder Kriege um Religion geführt, wer nicht wenigstens Fachabitur hat, wird in Zukunft fast keine Chance auf ein einigermaßen sicheres Einkommen mehr haben. Renten wird es kaum noch geben, eine gute Krankenversicherung nur noch für gut Verdienende - das Ende der Welt, die wir kennen, ist nahe! Alles wird anders, das meiste wird schlechter. Die Welt, wie wir sie kannten, wird untergehen! Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge! So beginnt der Predigttext, den wir eben gehört haben. Und wenn ich Zeitung lese, Nachrichten höre oder sehe oder mich einfach mal mit anderen über die Zukunft unterhalte, habe ich oft den Eindruck, dass dieser Satz für viele zum Lebensgefühl wird. Nicht immer und überall, aber in letzter Zeit immer öfter ist eine Angst da, das alles, was man so kennt, zusammenbricht und danach nur noch Schlechtes kommt. Was für uns heute meistens ein traurige Vorstellung ist, dass die Welt, so wie wir sie kennen, zu Ende geht, war in der Zeit, in der Brief, aus dem die Verse stammen, die ich eben vorgelesen habe, eine gute Hoffnung. Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge!Das Ende dessen, was ihr kennt, ist nahe, deshalb seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet! Flippt nicht aus vor lauter Angst oder vor lauter Freude. Starrt nicht auf das, was vielleicht mal kommt, ihr wisst den Zeitpunkt sowieso nicht und es wird auch anders werden, als ihr es euch denkt. Vergesst bei allem nicht, dass ihr jetzt, in der Gegenwart lebt. Haltet die Verbindung zu Gott, im Gebet. Lasst euch von ihm helfen und den Blick klar und frei machen. Schaltet euren Verstand nicht aus, sondern bleibt besonnen und nüchtern. Das hört sich vielleicht langweilig an. „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume“ - das war und ist immer noch ein beliebter Spruch bei Menschen, die den Schulabschluss gerade hinter sich haben und auch bei Menschen, die wie ich so zwischen 40 und 50 sind und sich fragen: „War das bis jetzt alles im Leben oder soll ich nicht lieber noch mal neu anfangen?“ Besonnen und nüchtern - das klingt nicht nach Freiheit, Abenteuer, den Alltag mal vergessen, was Großes und Tolles erleben. Aber es steht ja auch nicht nur da: „Seid besonnen und nüchtern“. Sondern: „Seid besonnen und nüchtern zum Gebet“. Mit etwas moderner Sprache würde ich das mal so übersetzen: Verliert euch nicht! Verliert euch nicht in euren Träumen und Sehnsüchten, indem ihr die Gegenwart ignoriert und damit auch die Menschen um euch herum. Verliert euch aber auch nicht in einer Gegenwart, die tatsächlich oft genug schwer und grau ist, sondern findet im Gebet die Verbindung zum Leben selbst, zu Gott, zum Anfang und zum Ziel allen Daseins. Gerade durch Jesus hat Gott uns Menschen gezeigt, dass Hoffnung und Liebe auch da ist, wo wir sie gar nicht sehen und wahrnehmen. Gerade durch ihn hat er uns gezeigt, dass leben mehr ist, als unser Verstand begreifen kann und dass dann, wenn durch den Tod unsere Möglichkeiten zu Ende sind, für ihn - und dadurch auch für uns - noch nicht Schluss ist. Vor allem nicht mit der Liebe. Aber gerade durch ihn hat er uns auch gezeigt, dass die Gegenwart, dass die Menschen, die um einen herum sind, nicht unwichtig ist. Gott ist nicht bloß irgendwas Nettes für das, was dann kommt, wenn unser Verstand an die Grenze kommt, sondern das Leben selbst, her und jetzt. Jesus hat mit ganz konkreten Menschen gelebt und er hat die Menschen nicht vertröstet, sondern denjenigen, denen er begegnet ist, in ihrem ganz konkreten Leben geholfen. Er hat Menschen zusammengebracht. Nicht in irgendwelchen Träumen, sondern in einer Wirklichkeit, die greifbar war - und immer noch ist. „Hoffentlich ist es wirklich bald soweit“, werden die Menschen damals wohl gedacht haben. Sie lebten in einer Zeit, in der die ersten größeren und systematischen Christenverfolgungen stattfanden. Ihr Leben war in Gefahr. Das endlich alles anders wird, als sie es bisher kannten, das war ihre große Erwartung an Gott. Aber egal, ob es nun, wie damals, eine große Hoffnung oder, wie heute oft, eine große Angst ist, die den Blick in die Zukunft mitbestimmt: eine Gefahr ist bei beiden Ansichten da. Die Gefahr, alles nur noch von dieser erwarteten oder befürchteten Zukunft bestimmt sein zu lassen. Die Gefahr, zu denken: „Lohnt sich ja nicht, jetzt noch irgendwas zu machen, ich kann ja doch nichts ändern, wird ja sowieso alles anders!“ In dem Brief steht ein Satz, den ich auch für den Blick heute auf die Zukunft wichtig finde:

Verlier dich nicht in einem Irgendwann und Irgendwo - sondern gewinne dein Leben. Hier und Jetzt. Für mich steckt das in dem auf den ersten Blick langweiligen Satz: seid besonnen und nüchtern zum Gebet. Demjenigen, der diesen Brief vor langer Zeit geschrieben hat, ist es wichtig, dass die Menschen in ihren Stärken und Schwächen zusammenhalten: „Vor allen Dingen habt aber untereinander beständige Liebe; denn die Liebe deckt der Sünde Mengen“. Natürlich kann man nicht jeden Menschen so lieben, dass das Herz vor Freude hüpft, wenn man ihn sieht. Das war auch schon in der christlichen Gemeinde vor 2000 Jahren so. Gemeint ist aber mehr als ein bloßes: akzeptiert euch, lasst jeden in Ruhe leben! Nehmt den jeweils anderen als eigenen, von Gott geliebten und gewollten Menschen wahr und ernst. Fördert euch gegenseitig, sucht immer auch nach dem, was dem anderen weiterhilft und was der andere braucht. Und verleugnet eure Schwächen nicht. Vergebt euch gegenseitig, rechnet Schuld nicht immer wieder gegeneinander auf. So kann man diesen Satz wohl übersetzen. Und so ist er bis heute aktuell. Gott will, dass wir leben. Und zum Leben braucht der Mensch das Gefühl, gewollt und geliebt zu sein. Wichtig zu sein. Und auch das Gefühl, vergeben zu bekommen und in der Gemeinschaft neu. Besser anfangen zu dürfen. Es geht nicht um Einmischung in das Leben von anderen, nicht um Besserwisserei und Bevormundung. Es geht darum, sich gegenseitig zu zeigen, dass man sich nicht egal ist. Für mich ist das bis heute ein Kennzeichen christlicher Gemeinde - im Unterschied zu vielen anderen Dingen im Alltag. Im Fußballstadion muss man viel Geld bezahlen, um sich als VIP, als very important person, als sehr wichtige Person, fühlen zu dürfen. In Vereinen werden die Sponsoren mit dem dicken Geldbeutel besonders gehätschelt. Bei uns sollte es zumindest so sein, dass nicht nur die Ärztin oder der Professor, sondern auch die Konfirmandin, der Hartz-IV-Empfänger oder die Rentnerin mit wenig Geld VIPs, ganz wichtige Menschen sind - und dass davon nicht nur geredet wird, sondern dass sie es auch spüren! Wie so was funktionieren kann? Ich hoffe, dass es klappt, wenn wir die letzten Verse aus dem Predigttext wirklich ernst nehmen: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: Wenn jemand predigt, dass er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Dienen ist ja als Wort etwas aus der Mode gekommen, auch wenn wir gern davon reden, dass wir eine Dienstleistungsgesellschaft sind. Gemeint ist hier in der Bibel nicht, dass ich mich klein mache und nie uneigennützig handeln dürfte und überhaupt denken solle, ich könne ganz wenig. Gemeint ist, dass ich meine Fähigkeiten nicht nur gebrauche, um im Konkurrenzkampf gegen andere zu bestehen, sondern dass ich da, wo es geht, sie einsetze, um anderen zu helfen. Gemeint ist auch, dass es keine unwichtigen Fähigkeiten gibt und dass ich nicht immer danach schauen soll, was andere besser können. Und dass ich mir nicht überheblich etwas einbilde und denke, mit dem, was ich kann, wäre ich besser als andere. Jeder kann was und jeder hat was beizutragen. Es ist schade, dass das Wort „Gaben“ aus der Mode gekommen ist und wir nur noch von Fähigkeiten oder Kompetenzen sprechen, die wir erwerben müssen. Gabe heißt doch, dass das, was wir können, zuerst mal ein Geschenk ist. Die unterschiedlichen Talente, Gaben - die hat Gott uns gegeben, damit aus der Vielfalt ein Miteinander werden kann. Wir können Gaben entdecken, weiterentwickeln und uns ein bisschen anstrengen, damit sie nicht verkümmern. Aber niemand kann alles erwerben. Ich werde nie ein besonders toller Handwerker oder Musiker. Egal, wie sehr ich mich anstrenge. Mein Konfirmand Johann wird sicher nie Pfarrer werden, aber er kann tapezieren, was ich nicht kann. Manchmal ist tapezieren aber eben wichtiger als predigen. Nicht glauben, alles können zu müssen, sondern aus dem, was Gott an Gaben ins Leben gelegt hat, was zu machen, zum eigenen Nutzen und zum Nutzen aller, darauf kommt es an. Mich selbst nicht so wichtig nehmen, sondern Gott zu danken, für die vielen wunderbaren Gaben, Fähigkeiten und Möglichkeiten, die er jedem schenkt. Die Gaben nicht zu leugnen, sonern anzunehmen. VIP, sehr wichtige Person, zu sein - nicht nur für Gott, sondern auch für mich selbst und füreinander. Wäre schön, wenn das die Beschreibung unserer Gegenwart wäre. Oder ist es sie vielleicht schon? Amen